Abenteuer im Orient
Der Klang arabischer Musik, der Duft orientalischer Gewürze, die Hitze der Wüste, gemildert durch eine schwache Brise, die, vom nahen Ozean kommend, die Blätter der Palmen sanft wiegen lässt, das Tappen nackter Frauenfüße auf maurischen Fliesen, ein hohes Lachen und … das Klirren goldener Ketten.
Folgen Sie mir in eine Welt wie aus 1001 Nacht, aber bleiben wir dabei in der Gegenwart des Emirates Ras-Al-Masuf, in dem eine (sehr “spezielle”) Tradition von Harem und Bondage unmittelbar neben einer Moderne von Politik, Militär, Spionage und Action existiert!
Orient, Harem, Bondage, Action … das sind ganz nette Romanzutaten, nicht wahr? Mir war das aber nicht “besonders” genug. “Karl May mit Ketten” reichte mir nicht. Es musste ein Thema mit Tiefgang geben: Die Freiheit des menschlichen Willens.
Es gehört zur menschlichen Natur, dass der Gedanke stets danach strebt, sich in der Realität zu manifestieren. Es erfordert jedoch oftmals weniger eine bewusste Entscheidung, einen Gedanken in die Tat umzusetzen, als es eben gerade nicht zu tun.
Nach wie vor gehören die Fragen
„Was sind Gefühle?“
„Wie entsteht Verhalten?“
„Warum bin ich, wie ich bin?“
zu den großen Mysterien.
Oder … vielleicht doch nicht?
Über die Abläufe im menschlichen Gehirn gewinnt die Wissenschaft zunehmend Erkenntnisse, die bestimmten Kreisen – natürlich – nicht ins Konzept passen. Das kennen wir schon seit vielen Jahrhunderten und dennoch: Die Erde ist eben nicht der Mittelpunkt des Universums, sie ist auch keine Scheibe und über den Wolken wohnt kein Mann mit weißem Rauschebart. Tja … „Ätsch!“ könnte man sagen, aber die Tatsache, dass mutige Menschen für den Fortschritt der Wissenschaft mit ihrem Leben bezahlen mussten, ist leider überhaupt nicht spaßig.
Suchen Sie einfach mal im Internet nach den Begriffen „Hirnforschung + freier Wille“ und Sie sehen schnell, was ich meine. Es wimmelt nur so von religiösem Fanatiker-Spam.
Allerdings ist schief gewickelt, wer glaubt, die Hirnforschung sei ausschließlich das Werk integrer Gutmenschen mit noch integreren Motiven.
Die „Sonde“ in „Ras-Al-Masuf“ ist natürlich Science-Fiction. Der „Tricorder“ in der Star-Trek-Serie der 60er Jahre war das auch. Und inzwischen? Symbian-Phones mit immer neuen „Applications“ lassen den guten, alten Tricorder schon recht steinzeitlich anmuten, nicht wahr? Und Jules Verne? Leonardo da Vinci? Es gehört eben zur menschli … ach so. Mit dem Satz hatte ich ja schon oben angefangen.
Also – was wissen wir über das „Mysterium“ Gehirn?
Inzwischen eine ganze Menge. Wir kennen den Aufbau. Laienhaft beschrieben: Entwicklungsgeschichtlich alt und daher unten – der Hirnstamm. Darüber das Zwischenhirn und schließlich das Endhirn mit dem Neokortex („Großhirn“). Teilweise zum Zwischenhirn und teilweise zum Endhirn gezählt wird das limbische System, welches früher als Zentrum der Emotionen bezeichnet wurde, während der Neokortex den Verstand beherbergen sollte. Abgesehen von gelegentlichen, unliebsamen Störungen durch das limbische System machte demnach der tolle Neokortex den Menschen zum vernunftbegabten Wesen.
Schön wär‘s!
In den 90er Jahren brachten Untersuchungen diese Theorie ins Wanken. So wies z.B. LeDoux nach, dass furchtauslösende Signale direkt von der Amygdala, einem Teil des limbischen Systems, verarbeitet werden und körperliche Reaktionen auslösen, ohne dass unser vernünftiger Freund, der Neokortex, davon auch nur das Geringste mitbekommt.
Nun ist es nicht so, dass auf den armen Neokortex kein Verlass wäre. Es ging ihm wie einem früheren deutschen Verteidigungsminister (angeblich): Er wurde einfach nicht informiert, was die Frage nach den Informationswegen aufwirft.
Auf Nervenbahnen fahren Unmengen kleiner, gelber Postautos durch unser Gehirn. Das sind die Botenstoffe, die je nach chemischer Zusammensetzung als Neuromodulatoren, Neuropeptide oder Hormone bezeichnet werden. Sie liefern unterschiedliche Botschaften in den verschiedenen Gehirnregionen ab und sorgen zuverlässig für Reaktionen.
Sehen wir uns einmal die wesentlichen „Briefkästen“ an, in denen die „Post“ zugestellt wird (oder produziert, aber das verwirrt jetzt nur) und beschränken uns dabei, weil es zum Thema des Buches gehört, auf das limbische System:
Hypothalamus – Verknüpfung von Emotionen mit vegetativen Zuständen (z.B. Angstschweiß)
Amygdala – emotionale Umsetzung von Informationen (z.B. Angst)
Hippocampus – Integration von Daten der Sinnesorgane, Gedächtnis
Corpus mamillaria – Affektverhalten, Sexualfunktion
Gyrus cinguli – Antrieb, Schmerzwahrnehmung, Fehlererkennung und –korrektur
Mesolimbisches System – Belohnungs– und Suchtzentrum
Orbitofrontaler Cortex – Verhaltensplanung, soziale und moralische Kompetenz
Was würde passieren, wenn es gelänge, die „Post“ zu beeinflussen? Würde es dann zu Verhaltensänderungen kommen?
Die Antwort auf diese Frage ist, nachgewiesen, einfach: Ja!
Die im Buch angesprochene „Diätforschung“ ist Realität; nur, dass diese nicht nur in Cincinatti, sondern auch in Cambridge durchgeführt wird. Realität ist auch der Fall des italienischen Serienmörders Stevanin, dessen gesamter präfrontaler Cortex bei einem Unfall in der Jugend zerstört wurde. Realität ist schließlich die Forschung nach dem „perfekten“, weil angstfreien, hochkonzentrierten und leistungsgesteigerten Soldaten; nur, dass diese nicht erst seit den 50er Jahren erfolgt – Amphetamin (s.u.) wird schon seit dem 2. Weltkrieg an Soldaten eingesetzt.
Und wie macht man das mit der Beeinflussung?
Man sorgt dafür, dass die „richtige Post“ zugestellt wird, indem man sich der „Post“, sprich: der Botenstoffe, bemächtigt.
Nachfolgend eine unvollständige und auf das für „Ras-Al-Masuf“ Wesentliche beschränkte Auswahl an „Post“:
Noradrenalin – steigert Kraft, Schnelligkeit und Libido
Dopamin – steigert Selbstbewusstsein und senkt Aggressionsschwelle, steuert das Wohlbefinden und motorische Prozesse; Noradrenalin und Dopamin schalten nicht überlebensnotwendige Bedürfnisse wie Hunger, Durst, Müdigkeit und Schmerzen aus, um den Körper in den Zustand des „Fight-Fright-Flight“ (Tunnelblick) zu versetzen; ihre Produktion kann durch Amphetamin beeinflusst werden
Oxytocin – schafft Vertrautheit, soziale Bindung und Fürsorge
Vasopressin – steigert sexuellen Appetit und Aggressivität; Oxytocin und Vasopressin gelten als Erzeuger des „Sich-Verliebens“
Leptin – hemmt Appetit und mäßigt das Belohnungszentrum
Dies ist kein Essay oder gar eine wissenschaftliche Abhandlung.
Ich wollte lediglich aufzeigen, wie weit die Wissenschaft bereits in die Funktion unseres Gehirns vorgedrungen ist. Dennoch ist das nur der Anfang!
Ist der „freie Wille“ also Illusion?
Ich weiß es nicht.
Vieles spricht dafür.
Die ethisch-moralische Frage kann ganz sicher nicht sein, ob Forschung „gut“ oder „schlecht“ ist. Auf eine solche Idee könnte nur kommen, wer ganz bestimmte Interessen verfolgt. Die ethisch-moralische Frage muss sein: Wie gehen wir mit den Ergebnissen um? Überlassen wir es der Industrie, unser Verbraucherverhalten zu manipulieren? Überlassen wir es dem Militär, „bessere“ Menschen zu produzieren?
Oder fangen wir endlich damit an, statt an fliegende rosa Elefanten zu glauben, uns mit unserer wahren Natur auseinanderzusetzen und zu lernen, was und wie wir sind und wie wir eigentlich wirklich funktionieren?
Es wird uns sicher nicht die Seele kosten. Dafür aber jede Menge Vorurteile und Ballast.
Wer sich weiter informieren möchte:
Vaas, R.: „Schöne neue Neuro-Welt“, Stuttgart 2008
Häusel, Hans-Georg: „Brain-Script – Warum Kunden kaufen“, Haufe-Verlag 2004
Nature, Bd. 435, S. 673, 2005 (zur Leptin-Forschung)
Ach! Noch etwas: Wer „Ras-Al-Masuf“ noch nicht gelesen hat: Keine Angst! Es ist nicht wissenschaftlich. Mehr als eine halbe Seite mit Fachbegriffen gibt es in dem Buch nicht. Das wäre ja auch unerotisch.
Chris Dell