Kurzer Prozess
 

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Roman
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Format: PDF
Dateigröße: 19.2 MB
388 Seiten

Beschreibung

Patricia Bonnaire hat alles, was sie braucht – einen interessanten Job, Erfolg, ein Spitzen-Einkommen, ein tolles Aussehen, Freunde und einen adäquaten Partner.

Was der jungen Staranwältin fehlt, ist etwas mehr Sozialkompetenz, ein besseres Verständnis für die Sorgen und Nöte der Menschen, auf deren Schicksal sie so großen Einfluss ausübt.

Als alle ihre Mitarbeiter unabkömmlich sind, übernimmt sie zähneknirschend des Fall eines wegen sexueller Belästigung Angeklagten. Mit all ihrer Gerissenheit erschüttert sie die Glaubwürdigkeit des Opfers und verschafft dem Täter einen Freispruch.

Was sie nicht weiß, ist, dass der entsetzte Vater des Opfers einen ebenso finsteren wie wirksamen Rachefeldzug unternimmt.

Was sie ebenfalls nicht ahnt, ist, dass sich die grausame Rache nicht nur auf den Täter beschränkt.

Leseprobe

1: Brutstätte

„Ich bin schwanger.“

„Ach! Ich hatte immer geglaubt, Sie wären fett.“ Das hatte mir gerade noch gefehlt! Karen Wagner war zwar „nur“ eine Mitarbeiterin im Archiv (da konnte sie hemmungslos ihrer Leidenschaft für Donuts frönen), aber dort schaffte sie trotz aller Völlerei ein recht ordentliches Pensum.

Die Kanzlei wurde gerade von einigen Top-Fällen bis an die Kapazitätsgrenzen getrieben und es war höllisch schwer, ausreichend viele, auch nur annähernd geeignete Arbeitskräfte zu finden. Jeder Ausfall schmerzte in dieser Zeit besonders.

„Nein … also … äh … ich bin erst in der dritten Woche.“

„Ach so. Und Sie wollen mir jetzt sagen, dass Sie sich keine Abtreibung leisten können?“

„Nein, Miss Bonnaire. Ich wollte kündigen. Ich gehe davon aus, dass es in dieser Firma keinen Bonus für eine Schwangerschaft gibt, obwohl … für die Geburtenrate wäre das bestimmt gut.“

„Die Geburtenrate? Ich kann mich nicht erinnern, dass wir uns die nationale Aufgabe zur Erhaltung des amerikanischen Volkes zu Eigen gemacht hätten. Wir sind eine Kanzlei und keine Brutstätte. Warum kommen Sie zu mir? Sie müssen doch sowieso schriftlich kündigen.“

„Ich finde, dass es zu einem anständigen Umgang gehört, solche Dinge persönlich zu besprechen.“

Tickte die noch ganz sauber? „Mag sein. Mit Ihrem Vorgesetzten. Das ist Mr. Harrison, wenn ich nicht irre.“

„Jul … Mr. Harrison ist bereits informiert. Er war der Erste, der es erfahren hat.“ „Noch vor dem angehenden Vater? Das … ach! Verstehe.“

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„Verstehe.“

Das konnte ja wohl nicht wahr sein! Offenbar hatte ich mich geirrt, als ich sagte, die Kanzlei sei keine Brutstätte.
„Miss Bonnaire, ich bin zu Ihnen gekommen, um Sie zu informieren, dass wir es nicht aus einer Laune heraus getan haben.“

Eine Laune? Was meinte sie? Etwa so: „Gehen wir ins Kino oder machen wir ein Baby?“ „Oh, mir ist gerade so nach vollgeschissenen Windeln. Erst schwängerst Du mich und danach gehen wir ins Kino, okay?“

Wer kann denn so blöd sein, sein Leben aufgrund einer „Laune“ komplett auf den Kopf zu stellen? Wie konnte sie glauben, ich würde einen derartigen Schwachsinn auch nur vermuten? Mein Ärger nahm zu. „Miss Wagner, Ihre Motive sind sicher sehr interessant, aber das sollten Sie besser mit den anderen Muttertieren in der Schwangerschaftsgymnastik erörtern.“

„Ich wollte es Ihnen nur sagen, damit Sie wissen, dass es nichts an der Leistung von Jules … Mr. Harrison ändert. Er wird Ihnen natürlich auch weiterhin zur vollen Verfügung stehen.“

Daher wehte also der Wind! Da hatte wohl jemand ein schlechtes Gewissen. Leistung? Tolle Leistung! Der hätte seinen Braten ruhig in eine andere Röhre schieben können, wenn er sich schon nicht beherrschen konnte!

„Danke, Miss Wagner, dass Sie mir Ihre Auffassung mitgeteilt haben. Wenn das alles ist … ich habe viel zu tun. Denken Sie an die schriftliche Kündigung! Guten Tag.“ Dumme Pute!

Reichlich betreten und mit einer sorgenvollen Miene schlich sich das dicke Mädchen aus meinem Büro.

Ich griff zum Telefonhörer. Ich war richtig sauer. „Kelly, bitte geben Sie Harrison im Archiv Bescheid, dass ich ihn sprechen möchte. In meinem Büro. Sofort.“

Es dauerte nicht lange und Harrison, der Retter der dicken Frauen und Begatter der Büromäuse, stand vor mir. Er wusste natürlich genau, was ihn erwartete.

Ich machte aus meinem Ärger keinen Hehl. „Ich dachte, im Archiv arbeiten nur Eunuchen. Haben Sie bei Ihrer Einstellung gelogen?“

„Impotenz war keine Einstellungsvoraussetzung, Miss Bonnaire“, konterte er. Das war mutig.

„Auf den Gedanken, Ihr Ding lieber in einen von Miss Wagners zahlreichen Donuts zu stecken, sind sie wohl nicht gekommen?“

„Oh. Da muss ich wohl etwas verwechselt haben.“

Das war gut! Damit brachte er mich doch tatsächlich fast zum Lächeln. Auf jeden Fall nahm mir das meine größte Verärgerung. „Haben Sie nicht aufgepasst?“

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„Haben Sie nicht aufgepasst?“

„Ich dachte, das hätte ich. Mir ist schon klar, dass Sie 100 Prozent von Ihren Mitarbeitern fordern und ich weiß auch, dass wir uns im Moment vor Arbeit nicht retten können. Deshalb müssen Sie mir glauben, dass es keine Absicht war.“

„Ach! Da sind sie wohl in etwas … hineingerutscht?“

„Ich weiß auch nicht. Es war nur eine Affäre. Ich konnte ja nicht ahnen, dass sie das Kind tatsächlich will.“ „Als Frauenversteher werden Sie ja auch nicht bezahlt. Und jetzt?“

„Sie können sich auch weiterhin auf mich verlassen. Ich werde wegen dieser Sache in meiner Arbeitsleistung nicht nachlassen.“

„Das rate ich Ihnen. Sollte ich erfahren, dass sie noch eine meiner Angestellten schwängern, dann können Sie sich einen neuen Job suchen. Die Aufgaben von Miss Wagner werden Sie vorläufig selbst erledigen. Zusätzlich. Eine Mehrvergütung gibt es dafür nicht. Klar?“

„Klar. Danke, Miss Bonnaire.“

Er wandte sich gerade zur Tür, als ich noch meinte: „Harrison!“

„Ja?“

„Kaufen Sie sich eine Brille oder arbeiten Sie an Ihrem Geschmack! Ist ja eklig!“

Harrison lief rot an, aber ging, ohne noch etwas zu sagen.

Ich überlegte, wie das Balg wohl aussehen würde. Vermutlich wie seine Mutter. Ein kleiner, hässlicher Fleischklops mit einem Donut an der Stelle des Mundes? Ohne meinen Ärger über den Verlust einer Arbeitskraft hätte ich vielleicht sogar Mitleid mit Harrison gehabt.

An diesem Tag sollte es aber noch viel schlimmer kommen, denn nur kurze Zeit später hatte ich wieder meine Sekretärin Kelly in der Leitung: „Mr. Hughes lässt fragen, ob Sie kurz Zeit für ihn haben.“

Conrad Hughes war einer meiner Senior-Partner. Er hatte die Kanzlei gemeinsam mit meinem Dad aufgebaut.

„Natürlich. Wo?“

„Raum 7.“ „Sagen Sie Mr. Hughes, dass ich schon unterwegs bin!“

Conrad gehörte zu den wenigen Menschen, die ich wirklich inspirierend fand. Ein Gespräch mit ihm war meist angenehm und unterhaltsam. Er wartete am Fenster auf mich.

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Er wartete am Fenster auf mich.

„Ah, Patty! Tut mir leid, dass Dich einfach so bei der Arbeit störe.“

„Guten Morgen, Conrad. Du darfst mich jederzeit ‚stören‘. Das weißt Du doch. Was gibt’s?“

„Susan Almond hat mich angerufen.“

„Die Frau von Lance Almond?“ Lance Almond war einer unserer Strafverteidiger. Ein guter Mann, der kurz vor seiner Berufung zum Junior-Partner stand.

„Ja. Lance hatte einen schweren Autounfall.“

„Oh? Lebt er noch? Wie lange fällt er aus?“

Der Anflug eines ironischen Lächelns umspielte Conrads Mundwinkel. „Ja, er lebt noch und – danke der Nachfrage – es geht ihm den Umständen entsprechend gut. Ein paar Knochenbrüche und Prellungen. Er muss wohl großes Glück gehabt haben.“

„Schön. Kann er damit arb … ich meine … kann er laufen?“

„Er wird uns fünf bis sechs Wochen nicht zur Verfügung stehen.“

„So ein Mist! Für Lance, meine ich.“

„Natürlich, Patty, natürlich. Für uns wirft das auch ein paar Probleme auf. Wie Du weißt, haben wir im Moment alle mehr zu tun, als wir eigentlich bewältigen können. Daher müssen wir Senior-Partner manchmal Feuerwehr spielen. Ich habe schon mit Jordan gesprochen. Er wird einen Teil von Almonds Fällen übernehmen. Den Rest können wir mit Ach und Krach auf die Truppe verteilen. Ich weiß, dass Du diese Großmandate hast und schon seit Wochen praktisch durcharbeitest. Deshalb belästige ich Dich auch sehr ungern, aber einen kleinen Fall können wir einfach nirgendwo unterbringen. Eine Strafsache. Würdest Du …?“

„Natürlich, Conrad. Das mache ich doch gern. Ich sehe das als kleine Fingerübung für Zwischendurch. Außerdem habe ich schon lange keinen Mörder mehr vor der Giftspritze gerettet. Das wäre mal wieder eine Abwechslung. Worum geht es?“

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„Worum geht es?“

„Sexuelle Belästigung. Unser Mandat hat einer jungen Frau beim Nacktbaden zugesehen, ihr die Kleider geklaut und in ihren Slip … äh … Du weißt schon.“

Igitt! „Du machst Witze, oder? Ist das hier Candid Camera oder willst Du mir allen Ernstes erzählen, dass Lance Almond diesen Schwachsinns-Fall angenommen hat.“

„Das hat er nicht. Es ist eine Pflichtverteidigung. Du weißt, dass wir das von Zeit zu Zeit machen müssen, um unsere Zulassungen nicht zu verlieren.“

Das konnte doch nicht wahr sein! „Ich soll einen Spanner vertreten, der womöglich noch ein Höschenfetischist ist? Als Pflichtverteidigerin? Da kannst Du ja gleich Tiger Woods fragen, ob er mit Dir eine Runde Minigolf spielt, oder Michael Schuhmacher, ob er Dich bei einem Seifenkistenrennen mitnimmt.“

„Ich mag Dein gesundes Selbstbewusstsein, aber die Genannten würden das ja womöglich machen.“

„Klar. Wenn die Gage stimmt. Über das Honorar für eine Pflichtverteidigung müssen wir aber wohl nicht reden! Davon könnte sich die dicke Wagner gerade mal ein paar Donuts leisten.“

„Bitte?“

„Ach, schon gut. Das ist eine andere Geschichte. Wer vertritt die Staatsanwaltschaft?“

„Rosalie Meyers.“

„Ha! Rosalie, die Gutmenschen-Kuh! Die wird bestimmt versuchen, aus unserem Mandaten einen Vergewaltiger zu machen, weil nach ihrer Auffassung sowieso alle Männer Vergewaltiger sind. Wenn das so ist … dann mache ich das. Aus Rosalie Meyers wollte ich schon lange mal die Luft herauslassen. Jede Wette, dass es nicht zur Hauptverhandlung kommt!“

„Doch. Kommt es. Die ist für morgen angesetzt.“

Mir verschlug es die Sprache. Nachdem ich sie wiedergefunden hatte, meinte ich nur: „Almond kann sich den Junior-Partner abschminken. Wer zu blöd ist, einen solchen Fall vor der Hauptverhandlung abzuschmettern, sollte sich einen anderen Beruf suchen. Naja. Hilft ja nichts. Schick mir die Akte rüber!“

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„Schick mir die Akte rüber!“

Als ich dann am Abend die Akte studiert hatte, war mir erst recht schleierhaft, wie Almond es so weit hatte kommen lassen können. Ich würde den Fall leicht gewinnen und der unsäglichen Anomalie Meyers (wie sie unter Kollegen gern genannt wurde) im Vorübergehen eine deftige Abreibung verpassen.

Ich konnte ja nicht ahnen, dass dieser Prozess mein ganzes Leben radikal verändern würde.

Zusätzliche Information

Autor

Chris Dell

Version

illustriert

Format

PDF

Sprache

Deutsch

Artikelnummer

PD03G00

ISBN

978-3-95717-482-6