Beschreibung
Eine talentierte, junge Anwältin, die immer schon etwas „anders“ war, stellt sich ihren Wurzeln, ihren Dämonen und einer großen Liebe, während gleichzeitig ein grausamer Serienmörder sein Unwesen treibt.
In dem Maße, in dem sich beider Wege kreuzen, entstehen zunehmend Zwänge zu schwierigen Entscheidungen. Dem Täter scheint es zu gelingen, die Polizei an der Nase herumzuführen. Allerdings gibt es Personen, die sein Treiben durchschauen. Wie werden diese reagieren?
Dieses Buch ist eine Liebesgeschichte.
Es ist auch ein Thriller.
Vor allem jedoch ist es eine kritische Reflexion über den Glauben an „das Gute im Menschen“.
Wo liegen die Grenzen, außerhalb derer menschliches Zusammenleben unmöglich wird?
Was passiert, wenn jemand diese Grenzen mutwillig überschreitet?
Wie geht man damit um?
Wie kann man handeln, wenn man selbst die Grenzen wahren möchte?
Ist das überhaupt möglich?
Erotik, Sex, SM, Liebe wechseln sich ab mit Gewalt, Brutalität und Mord. Dabei soll trotz aller Spannung der Blickwinkel nicht vorwiegend voyeuristischer Natur sein, sondern die innere Auseinandersetzung der Protagonistinnen und Protagonisten mit den aufkommenden Fragen in den Mittelpunkt stellen und die Triebkräfte ihres Handelns erkennen lassen.
Nicht immer werden Leser dies „politisch korrekt“ finden.
So ist es gewollt, denn einfache Antworten sind in dieser Geschichte nicht zu finden.
Vorwort
Haben Sie „Wolfsbraut“ gelesen?
Ja?
Freuen Sie sich auf ein Wiedersehen mit Michelle?
Dann habe ich eine gute und (zumindest) eine schlechte Nachricht für Sie: Die gute Nachricht ist, dass Michelle in diesem Buch auftaucht – allerdings nicht in der „Hauptrolle“.
Ist Ihnen wieder nach Erotik, Liebe und Romantik zumute? Dann ist die nun folgende Nachricht wirklich schlecht: Das alles kommt zwar wieder vor, aber dieses Buch ist anders.
Sie haben „Wolfsbraut“ nicht gelesen?
Auch gut, denn dann können Sie mir unbefangen folgen.
Wohin Sie mir folgen sollen?
In den Abgrund.
In die dunklen Tiefen menschlicher Existenz.
In die Gegenwart des Bösen.
Dieses Buch ist kein Buch über die Liebe (jedenfalls nicht in erster Linie).
Wenn Sie es mit Mina Harker in Coppolas Verfilmung von Bram Stoker’s „Dracula“ halten wollen („bring mich weg von all diesem … Tod!“), dann legen Sie es beiseite und versuchen es lieber mit meinem nächsten Machwerk.
Wenn Sie hingegen hartgesotten genug sind, dann lassen Sie sich ein auf …
… das, was nun folgt.
Leseprobe
1.
Das dritte Dutzend war voll.
Sechsunddreißig Absagen, ohne dass sie auch nur die Chance bekommen hätte, sich einmal persönlich vorzustellen. Immer wieder diese dummen Sprüche: „… konjunkturbedingt keine Einstellungen“, „angesichts der Vielzahl bereits vorliegender Bewerbungen derzeit leider keine Möglichkeit…“, „…passt Ihr Hauptinteresse am Strafrecht leider nicht in unsere zivilrechtliche Ausrichtung“ usw., usf.
Manchmal dachte sie daran, die ganze verlogene Bande zu verklagen. Wozu gab es denn „Anti-Diskriminierungsgesetze“? Natürlich – zur Selbstbeweihräucherung von Möchtegern-Gutmenschen und als Feigenblatt für Politiker, die sonst nichts auf die Reihe brachten. Also konnte sie das als Anspruchsgrundlage sowieso vergessen.
Dabei glaubte sie zu wissen, woran es lag, dass sie trotz Prädikatsexamina und exzellenter Beurteilungen ihrer wissenschaftlichen Mitarbeit an den Instituten für Kriminologie und forensische Medizin einfach keinen Job bekam.
Es lag an ihrem Foto.
Auf diesem Foto war beim besten Willen nicht das Antlitz einer hochbegabten, angehenden Top-Strafverteidigerin zu erkennen. Man sah weder das 1. Staatsexamen magna cum laude noch das 2. Staatsexamen summa cum laude in diesem hübschen, aus tiefschwarzen Augen blickenden Mädchengesicht. Man sah eine zierliche Nase, zarte, sanft geschwungene Lippen, hohe Wangenknochen und Mandelaugen. Man sah eine süße Japanerin, die nach europäischen Maßstäben, wenn überhaupt, gerade mal volljährig schien. Kein Make-up, das ohnehin für ein Bewerbungsfoto nur in engen Grenzen zulässig war, hätte daran etwas ändern können.
Aiko Sophie Takashima hatte sich an die kleinen Widrigkeiten gewöhnt – wenn sie an der Kinokasse oder beim Einkauf einer Ab-18-DVD ihren Personalausweis vorzeigen musste oder wenn sie von einer Dessousverkäuferin missbilligende Blicke erntete. Jetzt war es aber etwas anderes; schließlich ging es um ihre berufliche Zukunft.
Es war nicht schlimm (jedenfalls nicht sehr), anders zu sein. Die Schlitzaugen-Hänseleien der Schulzeit hörten mit dem Tag abrupt auf, als sie dem Wortführer der Idioten-Clique, einem feisten, rothaarigen und pickelgesichtigen Jungen namens Marc, vor dem Schwimmunterricht unbemerkt die Badehose mit Juckpulver eingestrichen hatte. Sie hielt sich in einem Spind in der Jungenumkleide versteckt, bis Marc „welches Schwein war das“ kreischte. Dann verließ sie mit triumphierendem Lächeln den Spind und meinte nur: „Eierkratzen macht blöd. Wusstet Ihr das nicht?“
Mittels Großer Außensichel und anschließendem Kese-Katami-Griff wurde sie leicht mit dem anstürmenden Dummkopf fertig. Als dieser so viel größere und schwerere Kerl sich auf dem gekachelten Fußboden in ihrem festen Griff wand und röchelnd bat, ihn loszulassen, wusste Aiko, dass sie von Marc und seiner Gang nichts mehr zu befürchten hatte.
Überhaupt – wer Gelegenheit hatte, Aiko kennenzulernen, konnte durchaus den intelligenten, ehrgeizigen und durchsetzungsfähigen Menschen in diesem kleinen, zierlichen Mädchenkörper erkennen. Nur … wer hatte schon Gelegenheit dazu?
Vieles änderte sich mit Aikos einsetzender Pubertät. Obwohl sich die Gene ihrer Mutter, einem deutschen, blonden, langbeinigen Ex-Model, so gar nicht durchgesetzt hatten und Aiko ganz nach ihrem Vater Hatsumoto kam, lernte sie doch mit mütterlicher Hilfe schnell, sich sexy zu stylen und zu bewegen. Mit Hinzukommen erfreulicher Rundungen an den richtigen Stellen ihres Körpers konnte Aiko nun jederzeit den Beweis erbringen, „erwachsen“ zu sein – nur gegen die unschuldig-kindhafte Wirkung ihres Gesichts war wenig zu machen. Da allzu kräftiger Lidschatten und Lippenstift nicht auf ein Bewerbungsfoto gehörten und Ganzkörperfotos eher für eine andere Art Job als für eine Karriere in der Rechtspflege geeignet waren, konnte Aiko ihr Problem bei der Stellensuche nicht lösen und verzweifelte allmählich bei jedem Blick in den Briefkasten.
Alles änderte sich am 20. Juni.
Schon um 9 Uhr war es an diesem Sonntagmorgen so warm, dass Aiko die Klimaanlage in ihrer kleinen Penthouse-Wohnung, die ihre Eltern ihr gekauft hatten, als sie zum Studium von Düsseldorf nach Köln zog, auf erträgliche 20° herunterregelte. Nur mit weißen Shorts und einem kurzen, seidenen Hemdchen mit Spaghettiträgern bekleidet, machte Aiko sich nach einem Müslifrühstück zum Lift auf. An der Wohnungstür schlüpfte sie schnell in ein paar Badelatschen und fuhr die vier Stockwerke hinunter zum Briefkasten. Dort klemmte sie sich den Stapel unter den Arm, der noch vom Vortage den Briefkasten verstopfte und warf ihn, wieder in der Wohnung angekommen, erst mal auf den Küchentisch. Zwischen den üblichen Werbesendungen und überflüssigen Supermarktzeitungen steckte ein ganzer „echter“ Brief. Ohne Hoffnung betrachtete Aiko den Absender:
Prof. Lindemann (+), Roth, v. Denkwitz, v. Denkwitz, Köln, Amsterdam, Paris, New York, Abu Dhabi, Hongkong.
Eine der renommiertesten internationalen Kanzleien, Schwerpunkte: Strafrecht, Wirtschaftsstrafrecht, Aktien- und Gesellschaftsrecht. Na, toll! Der Traum aller Prädikatsabsolventen. Eine Absage von einer solchen Kanzlei tut richtig weh. Aiko wusste nicht mehr, was sie geritten hatte, sich ausgerechnet da zu bewerben. Übermut? Selbstüberschätzung? Quatsch! Die werden irgendwann schon merken, welch brillanter Verstand ihnen entgangen ist.
Da lag er nun. Der Umschlag. Noch verschlossen.
Aiko starrte ihn an.
Edel – das Ding. Feine Serifenschrift. Hochwertiges Papier. Mit leicht zittrigen Fingern riss sie den Umschlag auf. Scheiß drauf! Am Nachmittag würde Aiko nach Düsseldorf fahren. Vor dem Besuch bei ihren Eltern wartete noch eine Unterrichtsstunde Kendo. Da könnte sie ihren Frust prima abreagieren.
„Sehr geehrte Frau Takashima“, las Aiko, „über die Zusendung Ihrer aussagefähigen Bewerbungsunterlagen haben wir uns sehr gefreut. Wir haben den Eindruck gewonnen, dass Sie gut zu unserem Team passen könnten und würden Sie gern persönlich kennenlernen. Zu diesem Zweck laden wir Sie am Mittwoch, dem 23. Juni …“ Der Rest des Textes verschwamm in den Tränen, die in Aikos Augen schossen.
Keine Absage.
Ein Vorstellungsgespräch.
Endlich!
Schnell schlüpfte Aiko aus den Badelatschen und ließ sich mit untergeschlagenen Beinen auf das Sofa im angrenzenden Wohnzimmer fallen. Den Brief behielt sie in der Hand. Eine schwungvolle Unterschrift war zu erkennen, nachdem Aiko sich mit dem Handrücken die Tränen aus den Augen gewischt hatte. „Dr. jur. Jonas von Denkwitz“ stand darunter. Den also galt es zu überzeugen. Aiko musste es einfach schaffen und sie würde es schaffen, denn jetzt konnte sie zeigen, dass sie weit mehr zu bieten hatte als ein hübsches Mädchengesicht.