Im Auge des Betrachters Im Auge des Betrachters  
 

In vielen meiner Geschichten beschäftige ich mich – mal mehr, mal weniger unterschwellig – mit dem Thema »Schönheitswahn«. Weil das hier eher kein Roman werden soll, skizziere ich meine Haltung dazu in gebotener Kürze wie folgt:

1) Nahezu jeder Mann findet nahezu jede Frau begehrenswert. Das muss auch so sein, weil Männchen sonst ihre von der Evolution vorgesehene Rolle zur Arterhaltung überhaupt nicht wahrnehmen könnten: Möglichst viele Weibchen befruchten, damit es zu einer möglichst großen Gendiversifikation und damit verbesserten Überlebenschancen des Nachwuchses kommt.

2) Auslöser des Begehrens bei Männchen ist die zunächst optische Wahrnehmung des Weibchens durch weibliche Schlüsselreize. Gute (aus männlicher Sicht) Ausgestaltung dieser Schlüsselreize ist erwünscht, aber bloßes Vorhandensein reicht in aller Regel vollkommen aus. Anmerkung: Es ist längst wissenschaftlich belegt, dass andererseits auch die »schönsten« Schlüsselreize nichts nützen, wenn z.B. die Immunsysteme der Paarungswilligen zu ähnlich sind. Dann hat es sich sofort ausgepaart, weshalb auch Weibchen mit objektiv ausgeprägten Schlüsselreizen nicht jedes Männchen zur Paarung bewegen können (aber die meisten ;).

3) Wüssten Weibchen mit weniger ausgeprägten Schlüsselreizen, dass sie bereits durch ihre bloße Weiblichkeit Begehren auslösen, würden sie ihrerseits strengere Auswahlkriterien für die Paarung anlegen, was dazu führen würde, dass Männchen mit tatsächlich oder angenommen geringer Paarungsattraktivität (aus weiblicher Sicht) erheblich schlechtere Paarungschancen hätten – gut für die Evolution, aber furchtbar für jeden Vollpfosten ohne auch nur minimale AlphamännchenZüge oder sonstige Stärken wie Charisma, Humor und Einfühlungsvermögen.

4) Um 3) zu verhindern, ist es für schwache Männchen zum Erhalt ihrer Paarungschancen unerlässlich, Weibchen möglichst wenig wählerisch sein zu lassen. Deshalb ist es für diese Männchen wichtig, dass Weibchen sich selbst für schwach, unzulänglich und, vor allem, wenig begehrenswert halten, was, wie unter 1) dargelegt, bedeutet, dass eine Lüge, eine Täuschung geschaffen und aufrechterhalten werden muss – möglichst flächendeckend, damit viele Weibchen glauben, dass sie sich keine anspruchsvolle Wahl erlauben können.

5) Geeignete Maßnahmen zu 4) sind: Versagen von Anerkennung (möglichst von Geburt an), permanente Kritik (möglichst willkürlich, damit sich ein Weibchen nicht darauf einstellen kann), alle Formen geringschätzender Ausdrücke, Beleidigung, Herabwürdigung, Erniedrigung. Besonders geeignet sind Herabwürdigungen aus Gründen, gegen die ein Weibchen nichts unternehmen kann – ergo: Die Weiblichkeit an sich zum Anlass der Herabwürdigung nehmen. So wurde die sog. »Erbsünde« erfunden und im Nachgang hierzu wurden Frauen, die sich ihrer »Begehrenswertigkeit« (s. 1) dennoch bewusst waren, als »promiskuitiv«, als »Hexen«, »Nutten«, »Schlampen« gebrandmarkt. Als sehr wirksame Form der Geringschätzung hat sich der »Schönheitswahn« erwiesen, der, anders, als es die Bezeichnung suggeriert, nichts mit »Schönheit«, also besonders erkennbarer Weiblichkeit (s. 2), zu tun haben muss.

6) Für einen aus der Sicht schwacher Männchen besonders wichtigen Schönheitswahn kommt es daher nicht auf dessen Gegenstand an (mal dicke Mädchen á la Rubens, mal Hungerhaken als Models, mal »Thigh Gap«, mal gigantische Brüste, mal korsettierte Wespentaillen, mal Hinterteile mit Abstellmöglichkeit, mal verstümmelte Genitalien, mal ausdruckslose BotoxGesichter … dem Einfallsreichtum sind keine Grenzen gesetzt). Es kommt vielmehr darauf an, dem einzelnen Weibchen das stetige Gefühl zu vermitteln, dass es das »Ziel«, welches noch so absurd erscheinen mag, aber ihm als Wertmaßstab erfolgreich suggeriert wurde, nicht erreichen kann. Sollte es jedoch trotz möglichst hoher Hürden wider Erwarten gelingen, muss sofort ein weiteres, diesmal noch unerreichbareres »Ziel« gesetzt werden. Frauen, die erkennbar diese »Ziele« erreichen wollen, mithin also den Lügen auf den Leim gegangen sind, muss dann genau dies zum Vorwurf gemacht werden: Die werden somit als »Bimbos«, »Schlampen«, »hohle Fassaden« und als dumm, oberflächlich und gefallsüchtig diskriminiert. Gegenstand des Wahns ist daher nicht »Schönheit«, denn im einzig nachweisbaren Sinn ist jede Frau mit weiblichen Geschlechtsmerkmalen »schön« (s. 1 u. 2), sondern die Vermittlung von Unzulänglichkeit und damit das schlichte »Kleinhalten«.

Dieses Kleinhalten mündet in der Kehrseite des Schönheitswahns, der Verächtlichmachung von Weiblichkeit. Schwache Männchen fürchten, wie dargelegt, Weibchen, die sich der Tatsache, dass sie Begehren auslösen, trotz aller Täuschungen bewusst sind, weil das zu verschärften Auswahlkriterien führen kann, denen diese Männchen meist tatsächlich oder zumindest empfunden nicht gewachsen sind. Aus diesem Grunde und natürlich zum Ausschalten konkurrierender, womöglich sexuell attraktiverer Männchen, wird der »weibliche Reiz« an sich zum Problem. Je schwächer das Männchen, desto größer ist sein Streben danach, weibliche Reize »unschädlich« zu machen – vor allem natürlich dann, wenn ein solches Männchen sich eine Verfügungsgewalt über ein Weibchen einbildet (oder tatsächlich mit Gewalt oder sonstigen Zwangsmitteln erreicht hat). Dies ist der (einzige!) Grund für die Erfindung des Schleiers und sonstiger Verhüllungen und in nur leicht abgemilderter Form Ursache von männlichen Appellen an vermeintliche »Partnerinnen«, doch bitte nicht zu »freizügig« zu sein – in der Öffentlichkeit (sprich: in den Augen der Konkurrenz), versteht sich! Früher nannte man diesen angestrebten Zweck auch »keusch« oder »züchtig«. Heute nennt man das gern »natürlich«. Die meisten Frauen machen, vor allem in ihrer Jugend, derartige Erfahrungen und hoffen, stets getrieben vom eigenen, hormoninduzierten Bindungsdrang, ihr »Partner« werde sich weiterentwickeln, weniger »eifersüchtig«, mithin also weniger einschränkend und bevormundend werden. Diese Hoffnungen erfüllen sich fast nie, denn wie gezeigt, ist die Angst vor Weiblichkeit ein Zeichen für Schwäche und derart schwache Männchen sehen gerade ihre Beziehungen als Rückzugsorte vor dem Konkurrenzkampf und sind dort noch weniger entwicklungsfähig und bereit als in anderen Lebensbereichen.

Welches Ausmaß diese Schwäche annehmen kann, sehen wir natürlich bei den besonders ausgeprägten, religiösen IdiotenAnsammlungen wie dem sog. »IS«, den Wahabiten oder westlichen Sekten. Kennen wir die dargestellten Zusammenhänge, fallen uns aber auch die alltäglichen Anzeichen stärker auf.

Dabei könnte alles so einfach sein, wenn wir uns auf evidenzbasierte Erkenntnisse verlassen würden. Dann wüssten wir, dass Begehren keine Liebe ist, dass es kommt und geht und dass es nicht von unseren Willensentscheidungen abhängt. Wir wüssten, dass in Männeraugen nahezu jede Frau begehrenswert ist und dass darin nichts »Schlechtes« liegt. Wir würden den Wahrheitsgehalt des alten Spruches »Auf jeden Topf passt ein Deckel« anerkennen und verstehen, dass es unendlich viele Deckel und Töpfe gibt, die alle gut aufeinander passen und dass die Mär vom »Warten auf den Einen« auch nur eine Lüge ist, um Frauen davon abzuhalten, Erfahrungen zu machen, die ihnen helfen, zu unterscheiden, was für sie gut und richtig ist und was sie lieber meiden sollten. Wir würden schön finden, dass Geschmäcker verschieden sind, dass es selbstverständlich individuelle Präferenzen und Vorlieben gibt, die sich aber auch mit der Zeit (und den Erfahrungen) verändern können. Wir würden die Vielfalt schätzen und die Einfalt meiden. Wir würden verstehen, dass Schönheit tatsächlich »im Auge des Betrachters« liegt; und zwar in unser aller Augen, überall, jeden Tag … und uns angstfrei daran erfreuen, um uns dann den wirklich wichtigen Dingen zuzuwenden – Respekt, Individualität, Entwicklung und Liebe … damit das, was jetzt kommt, eines Tages undenkbar wird.

Zartbesaiteten empfehle ich, an dieser Stelle die Lektüre zu beenden und sich anderen, weniger drastischen Geschichten zuzuwenden. Die gibt es ja bei mir auch.

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