Der Kreuzzug Der Kreuzzug  
 

1: Prolog

Man sagte mir nach, ich wäre extrem ehrgeizig gewesen.

Ich denke, da ist etwas dran.

Nun, dafür gab es Gründe.

Als Kind hatte ich es zwar nicht wirklich schwer gehabt, aber der frühe Krebstod meiner Mutter und das nicht gerade üppige Einkommen meines Vaters sorgten dafür, dass die Verhältnisse, in denen ich aufwuchs, doch eher bescheiden waren.

Dad war mein Held.

Zugegeben – die meisten Töchter vergöttern ihre Väter. Meiner war aber wirklich toll gewesen.

Als er starb, brach für mich eine Welt zusammen. Ich war damals gerade 16 geworden und Dad hatte diesmal nicht angerufen, um Bescheid zu sagen, dass sein Dienst länger dauern würde. Seine Schwester, Auntie Betty, die häufig bei uns zu Besuch war, hatte gerade damit begonnen, uns ein paar Burger zu braten, als jemand an der Tür klingelte.

Ich saß vor dem Fernseher und hörte plötzlich, wie Tante Betty den Spatel fallen ließ, den sie zum Wenden der Burger benutzt und noch in der Hand gehalten hatte, als sie die Tür öffnete.

Ich sprang aus meinem bequemen Sessel auf und rannte zur Tür. Sergeant Dyke, ein Kollege meines Dad, stand dort und ich konnte in seinem Gesicht lesen, dass er die schlimmste aller Nachrichten überbringen musste.

Mein Dad hatte zusammen mit seinem Partner Sam die übliche Runde im Distrikt gemacht. Bei Joe’s Armory hielten sie regelmäßig an und schauten nach dem Rechten, nachdem Joe in den Monaten zuvor zweimal überfallen worden war. Es war eine Pumpgun aus dem ersten Überfall, mit der mein Dad erschossen wurde.

Er hatte Pech gehabt.

Sam musste noch eine Durchsage im Wagen abwarten. Mein Dad war allein in den Laden gegangen. Dort waren die Täter gerade dabei, sich schon zum drittenmal „umsonst“ mit Waffen zu versorgen. Von draußen war nichts zu erkennen gewesen und als Dad Joe’s Armory betrat und die Typen die Polizeiuniform sahen, gerieten sie in Panik und ballerten wild um sich.

Joe starb drei Tage später an den Folgen seiner Verletzungen.

Sam kam mit dem Schrecken davon und quittierte kurz darauf den Dienst, weil er glaubte, dass er seinen Partner im Stich gelassen hatte.

Dad war sofort tot.

Die Täter wurden nicht gefasst.

Ich weinte tagelang.

Es war deshalb nicht ganz einfach für mich gewesen, die psychologischen Tests zur Aufnahme an der Academy zu bestehen. Es war nicht schlimm, dass ich meinem Dad (meinem Helden) nacheifern wollte, aber Rachegelüste sind ein absolutes no-go, wenn man sich zur Polizei melden will.

Ich konnte die Prüfer überzeugen.

Ich konnte gut lügen.

Es gab noch ein weiteres Motiv für meinen Ehrgeiz: Der Polizeidienst ist (immer noch) eine Männerdomäne und eine Frau muss entsprechend mehr „Gas geben“, wenn sie in dieser speziellen Welt bestehen will.

Ich hatte also Gründe, besser sein zu müssen als meine männlichen Kollegen.

Ich schloss die Academy als Jahrgangsbeste ab.


2: Der große Tag

„Liebes, Du musst etwas frühstücken! Heute ist Dein großer Tag.“

Bild1

„Heute ist Dein großer Tag.“

Ich sah auf die Wanduhr hinter Tante Betty. Es wäre noch genug Zeit gewesen, aber ich schaffte es am Morgen selten, die kalorienreichen Mahlzeiten herunterzuwürgen, die mir meine Tante auch nach Jahren noch servierte, wenn sie eine Gelegenheit dazu sah. „Ach, da passiert doch gar nichts. Ich meine … ich finde es ja echt lieb von Dir, dass Du extra vorbeigekommen bist, aber vermutlich bekomme ich einen feuchtwarmen Händedruck vom Chief und das war’s dann schon.“

„Dein Dad wäre so stolz. ‚Detective Wilson‘! Klingt das nicht wunderbar? Wenn er das doch nur noch hätte erleben können!“

Ich hoffte nur, dass sie nicht gleich losheulen würde. Tante Betty war ja meist ein Schatz und für mich mehr als eine Art Mutterersatz gewesen, aber sie konnte mitunter auch etwas anstrengend sein. Naja, Mütter sind das auch … nahm ich jedenfalls an.

„Tante Betty, das ist wirklich nichts Besonderes. Da gibt es keine Zeremonie oder sowas und meine Prüfung habe ich ja schon vor drei Wochen bestanden. Ich gehe da hin, bekomme ein paar Glückwünsche und dann erhalte ich meine neuen Aufgaben. Das ist alles. Ehrlich!“

Das dachte ich.

Ich hatte ja keine Ahnung, dass mein erster Fall aus einem Horrorfilm hätte stammen können und schon gar nicht, dass er zu meinem ganz persönlichen Horror werden würde.

Ich war ganz cool und freute mich, nach nur zweieinhalb Jahren schon die Uniform loszuwerden.

Der Weg zum Department war nicht allzu weit. Ich wäre auch zu Fuß vermutlich pünktlich gewesen, aber über Nacht musste die Temperatur gleich um ein paar Grad gesunken sein. Der Winter war in diesem Jahr offensichtlich früh dran. In den Bergen lag schon Schnee, aber normalerweise würde es hier in der Stadt noch ein paar Wochen dauern, bis man die warmen Sachen aus dem Schrank holen musste. Da ich kein Risiko eingehen wollte, mich unmittelbar nach meinem Urlaub zu erkälten, nahm ich lieber den Wagen und fuhr damit die paar Blocks bis zu meinem Arbeitsplatz. Der Gedanke, womöglich mit triefender Nase meinen neuen Job als Detective anzutreten, gefiel mir nämlich gar nicht.

weniger Text
 
Der KreuzzugPDF-Download, illustriert
deutsch
einzelne Kapitel
kostenlos

Auswählen