Sekt oder Selters Sekt oder Selters  
 

1 Dilemmata

Ryan wunderte sich. Keuchend meinte er: »Uff. Sag mal, Jen … bist Du gekommen?«

Auch Jennifers Atem ging stoßweise. »Scheint so.«

»Aber … wie …?«

»Kopfkino, Ryan. Die besten Orgasmen entstehen im Kopf. Das weißt Du doch. Außerdem befinden sich in der Rosette so viele Nervenenden, dass anale Orgasmen in Verbindung damit möglich sind. Man … also frau … muss es nur zulassen. Naja … und schließlich … Du weißt doch inzwischen, wie geil ich werde, wenn Du mich fesselst.«

»Wow! Du überraschst mich immer wieder.«

»Warum? Weil mir Sex Spaß macht und ich mich für meine Lust nicht schäme? Du weißt, dass ich dafür lange mit mir und meiner Erziehung gekämpft habe. Einfach war das nicht.«

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»Das ist es nie. Du bist erstaunlich.«

»Und Du bist lieb, Ryan. Bei Dir fühle ich mich geborgen. Du bist der erste Mann in meinem Leben, dem ich wirklich vertraue. Deshalb ist der Sex mit Dir auch so gut. Ich habe keine Angst und ich muss mich vor Dir nicht schämen. Auch nicht für meine etwas … dunkleren Sehnsüchte.«

Ryan lächelte. »Du weißt doch, dass ich die mit Dir teile und außerdem … was heißt schon ›dunkel‹? Das ist doch nur eine von vielen Bezeichnungen für all das, was die Spinner, die Sex nur zur Fortpflanzung tolerieren, ablehnen; also alles, was Spaß macht.«

Jennifers bis dahin entspannte und glückliche Miene wurde deutlich ernster. »Ich weiß, dass Du mich gern fesselst, mich auch mal nimmst, wenn ich mich nicht gleich hingebe, dass Du es auch gern etwas härter und animalischer magst … dass Du Dich in allen meinen Körperöffnungen wohl fühlst … aber …« Sie seufzte.

»Aber was?«

»Das ist schwer, Ryan. Das habe ich noch nie ausgesprochen.«

»Ein Geheimnis? Toll! Ernsthaft, Jen: Ich liebe Dich. Ich meine … ich liebe Dich wirklich. Ich bin nicht nur scharf auf Dich, weil Du so hübsch und sexy bist oder weil Du mit mir diese Elektrolyse-Sache gemacht hast und ich Dich so gern lecke. Das sind alles feine Sachen, die uns Spaß machen, aber ich bin auch ohne Sex verrückt nach Dir. Ich bin auf Deiner Seite, ich werde immer zu Dir halten; egal, was passiert oder was Du denkst und tust oder wohin Du Dich entwickelst. Hoffentlich mit mir gemeinsam, aber wenn nicht, stehe ich dennoch zu Dir.«

Eine Träne kullerte an Jennifers Wange herab. »Das ist das Schönste, was mir je ein Mann gesagt hat.«

Ryan küsste die Träne weg. Sie schmeckte salzig. »Du weißt, dass ich so denke.«

»Schon, aber es tut gut, es zu hören. Ich habe trotzdem ein wenig Angst.«

»Wovor, Jen?«

»Vor mir? Vor Dir? Jaja, ich weiß schon, was Du denkst. Du bist aber ein Mann. Du kannst Dir gar nicht vorstellen, wie sich das anfühlt, wenn man von Kindesbeinen an immer wieder gesagt bekommt, dass man etwas nicht richtig macht, dass man nie ›gut genug‹ ist und, vor allem, dass man sich gefälligst zu schämen hat für das, was man ist und wie man ist. Das Schlimmste aber ist der Versuch, Frauen einzureden, dass ihre Wahrnehmung nicht stimmt. ›Das bildest Du Dir nur ein‹, ›Du lässt Dich von Deinen Gefühlen leiten‹, ›Du bist viel zu emotional‹, ›Du bist ja hysterisch‹ … in der einen oder anderen Form hat vermutlich jede Frau diese Sätze schon gehört; und zwar häufig. Du ahnst ja nicht, wie es ist, wenn das Vertrauen in die eigene Wahrnehmung schon in der Kindheit zerrüttet wird. Ist das, was ich fühle, ›richtig‹? Darf ich das überhaupt? Ist das auch wirklich mein Gefühl, mein Gedanke oder habe ich mir das nur einreden lassen? Daraus resultiert eine immense Unsicherheit, ein ständiges Hin und Her. Wie kann man auf dieser Basis Entscheidungen treffen? Wie kann man selbstbestimmt leben, wenn man Zweifel am eigenen Selbst hat? Männer mögen Idioten sein, unfähig, dumm oder einfach nur inkompetent, aber kaum ein Mann geht wie selbstverständlich ständig davon aus, dass mit ihm etwas nicht stimmt, oder?«

»Ich fürchte, Deine Beschreibung trifft wohl zu. Viele Männer haben Minderwertigkeitskomplexe, aber die führen nicht zu Selbstzweifeln, sondern werden einfach kompensiert. Statt sich zu fragen, ›was stimmt mit mir nicht‹, kaufen die sich lieber ein getuntes Auto oder einen Kampfhund oder treten einer extremistischen Gruppe oder einer Sekte bei, damit ihre eigene Gestörtheit unter den anderen Gestörten nicht weiter auffällt. Das ist wirklich nicht mit Frauen vergleichbar.«

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»Allerdings«, stimmte Jennifer zu. »Dann kannst Du Dir vielleicht annähernd vorstellen, wie es für mich vor diesem Hintergrund ist, wenn ich selbst etwas, von dem ich weiß, dass es mich geil macht, mit dem Verstand total ablehne. Als Mann kannst Du Deinen Verstand ja womöglich abschalten und Dich nur von Deiner Lust leiten lassen, aber das geht nur, wenn man Dir nicht schon immer eingeredet hat, dass mit dieser Lust etwas nicht stimmt, dass sie ›schmutzig‹ oder ›unkeusch‹ ist oder sich einfach nicht ›schickt‹.«

»Ja, genau. Ich mag Dir nicht wehtun, aber ich weiß, wie es Dich erregt, wenn ich Dich überwältige und Deinen Widerstand gewaltsam breche. Das erregt mich dann auch und weil das so ist, nehme ich Dich dann eben mit Gewalt. Auf die Idee, dass das dann nicht ›stimmt‹, dass es irgendwie moralisch anstößig oder sonstwie nicht in Ordnung sein könnte, komme ich gar nicht.«

»Weil Du ein Mann bist und Dir niemand seit Deiner Geburt einreden wollte, dass mit Dir etwas nicht stimmt. Wir haben ja neulich mal über diesen Schwachsinn von der ›Erbsünde‹ gesprochen. Damit hat das alles angefangen.«

Ryan nickte ernst. »Ja, das haben sich Männer ausgedacht, um Frauen klein und gefügig zu halten, aber ich bin immer davon ausgegangen, dass Du mit diesem Mist so wenig zu tun haben willst wie ich.«

»Richtig. Ich will nicht. Bei täglicher Gehirnwäsche ist es aber schwer, auch nicht zu müssen

»Wenn ich Dich richtig verstehe, hast Du … Wünsche oder Sehnsüchte, die Du mir gern mitteilen möchtest, aber von denen Du glaubst, dass sie irgendwelchen Spinnern Anlass bieten, Dich für … ›verrückt‹ oder irgendwie ›minderwertig‹ zu erklären. Das verstehe ich, aber ich bin keiner dieser Spinner.«

»Ich weiß, Ryan. Es ist aber noch ein wenig komplizierter. Es geht nicht nur um das, was irgendwelche Idioten denken, sondern auch um das, was ich denke. Du weißt doch selbst, dass nicht alles, was uns in der Fantasie total geil macht, auch in der Realität geil wäre oder überhaupt funktionieren könnte.«

Ryan schien nachzudenken. »Naja … wenn ich ehrlich bin … Du bist schon gleichermaßen in Fantasie und Realität meine Traumfrau und ich kann mir nicht wirklich vorstellen, dass es etwas geben kann, was Dir gefällt und das ich dann nicht mit Dir teilen möchte. Warum soll es denn nicht funktionieren, wenn wir beides es wollen?«

»Typisch Mann«, lächelte Jennifer, »Du denkst, wenn Du etwas willst, wird es schon irgendwie gehen.«

»Klar.« Ryan grinste schelmisch. Jennifer liebte es, wenn er sich so jungenhaft gab, obwohl sie wusste, dass er überhaupt nicht naiv war, sondern als erfolgreicher Gynäkologe tatsächlich schon viel von dem erreicht hatte, was er sich vorgenommen hatte.

»Gut, Beispiel: Du weißt, wie gern ich gefesselt bin. Ich liebe dieses Gefühl, wehrlos zu sein und keine Kontrolle zu haben. Ich würde es am liebsten immer haben, aber permanente Fesseln gehen einfach nicht.«

Ryans Lächeln verschwand wieder. Eine Pause entstand, in der er Jennifer nur ansah. Schließlich sagte er mit jetzt ernstem Tonfall: »Man müsste die Haut gut pflegen, die Gelenke schützen und die Muskulatur beweglich halten. Dann wäre die Methode zu klären, aber es wird eine Methode geben, wenn Du es wirklich willst und wenn es Dich glücklich macht.«

Jennifer schluckte. »Das meinst Du ernst, oder? Du würdest das mitmachen? Ich tropfe gleich wieder auf die Matratze.«

»Das ist es wert, oder? Ernsthaft, Jen: Ja, wenn Du damit glücklich bist ...«

»Hm. Ich fürchte, genau da liegt das Problem.«

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»Inwiefern?«

»Insofern, als das Leben mehr ist als Sex und Lust. Meine Fantasien sind viel extremer, als Du glaubst, Ryan. Du kennst bisher nur einen winzigen Teil. Nahezu alles, was mich richtig auf Touren bringt, ist unvereinbar mit anderen Dingen, die ich zum Leben und für mein Glück eben auch noch brauche. Ich will so viele Dinge lernen und sehen, will reisen, Erfahrungen machen, daran wachsen … aber ich will auch, dass Du mich in ein Kellerverlies sperrst, dort ankettest und auf jede Weise benutzt, die Dir gefällt.«

»Okay, ich verstehe. Wir brauchen ein Reise-Kellerverlies. Einen mobilen Darkroom.«

Jennifers Lächeln kam zurück. »Und wie komme ich damit … in ein Konzert?«

»Oh, das ist allerdings schwierig. Dann muss die Band im Kellerverlies auftreten. Wenn sie gut ist, können wir sie ja auch gleich dort anketten.«

Beide lachten, aber Jennifer ließ nicht locker. »Das ist ja nur eine Sache. Es gibt noch ganz viele andere Fantasien, die sich zum Teil gegenseitig ausschließen, aber vor allem mit meinem Wunsch nach einem erfüllten Leben kollidieren. Am liebsten wäre ich Dein Eigentum, vollkommen ohne eigene Kontrolle, Dir total ausgeliefert und von Dir abhängig, 24/7 und für immer und ohne Codewörter, Hintertürchen und Auswege. Und ich will gleichzeitig ein tolles, aufregendes, spannendes, unabhängiges Leben führen. Bin ich verrückt?« Eine weitere Träne bahnte sich ihren Weg über Jennifers Wange.

Ryan nahm Jennifer in seine Arme und hielt sie eine Weile schweigend fest. Dann meinte er: »Ich weiß nicht auf jede Frage eine Antwort, aber ich weiß, dass Du ganz sicher nicht verrückt bist. Du hast nur den doppelten Druck: Von den Fanatikern der einen Sorte, die Frauen als ›sündhaft‹ mit Schuldgefühlen zumüllen, damit deren Sexualität aufs heimische Schlafzimmer, wo irgendein Taugenichts als Ehemann das Sagen hat, beschränkt bleibt, und von den Fanatikern der anderen Sorte, die als erfüllte Sexualität nur das ansehen, was in ihr eigenes, meist nicht minder verklemmtes und autoritäres Weltbild passt. Keiner von denen kann akzeptieren, wenn eine Frau selbstbestimmt entscheidet, sich fremdbestimmen zu lassen, um dabei Lust zu empfinden. Den Einen passt schon die Selbstbestimmung nicht ins Konzept und den Anderen gefallen nur die ›selbstbestimmten‹ Entscheidungen, die zu ihrer Ideologie passen. So oder so – Du erntest nur Ablehnung.«

»Ich weiß, Ryan, aber viel schlimmer sind ja die Widersprüche in meinem eigenen Kopf. In dem Moment, wo ich Dir sagen würde, ›Hey, ich würde gern 24/7 als Dein Pet, Pony, Deine Puppe oder Deine Sexsklavin leben‹ und Du würdest dem zustimmen, hätte ich schon nicht mehr dieses Gefühl von totaler Fremdbestimmung. Es wäre ja meine Idee und damit auch meine Entscheidung. Außerdem bliebe immer noch die Frage offen, wie ich dann den Rest von meinem Leben genießen soll. Ich wäre so gern ganz und gar Dein, aber was würde dann noch von mir übrig bleiben? Wenn ich wäre, was Du willst, das ich bin – wäre ich denn dann noch ich oder nur Dein Gefäß? Könntest Du mich denn dann noch lieben? Und was würde passieren, wenn irgendwann unsere Hormone nachlassen und sich unsere Gefühle füreinander ändern? Wenn ich Dein Objekt wäre und Du mich irgendwann nicht mehr begehrst, wäre ich dann nicht so etwas wie eine Maßanfertigung für Dich, für die es keine Drittverwendung gibt? Jetzt sag mir noch einmal, dass Du mich nicht verrückt findest!«

»Ich finde Dich überhaupt nicht verrückt. Ich begreife nur allmählich, dass Du wirklich sehr weitreichende Vorstellungen von … kann man das noch ›BDSM‹ nennen? … hast, aber in dem Moment, wo ich versuche, ein Etikett dranzumachen, werde ich Dir schon nicht gerecht, denn es geht um Deine Gefühle und die sind auf jeden Fall und unter allen Umständen real und zu respektieren. Ich weiß ja schon seit mehr als einem Jahr, dass Du devot bist und die Beispiele, die Du genannt hast, finde ich allesamt reizvoll, aber ich denke, wir sollten in drei Schritten vorgehen: Zunächst schreibst Du mir einfach Deine ›geheimen‹ Fantasien auf! Nur zu meiner Kenntnisnahme. Damit ist kein Wunsch verbunden und kein Drängen. Ich erfahre, was Dich am meisten erregt und kann mir dazu ein eigenes Bild machen. Es verpflichtet weder Dich noch mich.«

»Das klingt gut. Puh! Darf ich Dir auch Geschichten nennen, die meinen Fantasien sehr nahe kommen?«

»Ja, sicher. Bitte markiere dann aber Passagen, die Dich abtörnen!«

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»Gut, mache ich. Und was ist Schritt Zwei?«

»Darüber reden wir danach.«

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