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Das Verhältnis von Selbst- und Fremdbestimmung beschäftigt die meisten Menschen, die auf irgendeine Weise mit BDSM zu tun haben. Es spielt eine Rolle in der rein spielerischen Unterwerfung und besonders, wenn die Grenzen des Spielerischen überschritten werden.

Wer hat sich noch nicht gefragt, wo diese Grenzen sind, wie weit er/sie gehen, worauf er/sie sich einlassen will und worauf lieber nicht?

Ist es »gesund«, sich fremdbestimmen lassen zu wollen? Wer entscheidet das? Anhand welcher Kriterien? Ist es nicht eine sehr unanständige Form der Fremdbestimmung, jemandem, der sich selbstbestimmt entscheidet, fremdbestimmt zu leben, diese Entscheidung untersa­gen zu wollen?

Kann man Menschen »vor sich selbst« schützen? Sollte man es tun? Ist das überhaupt möglich? Wer kann es tun? Wer ist qualifiziert? Wer ist »berufen«? Von wem?

Das sind Fragen, mit denen ich mich in vielen meiner Geschichten beschäftige.

Diesmal nicht.

Diesmal geht es um die gewaltsame Fremdbestimmung, wie ich sie normalerweise in Romanen beschreibe, die als Thriller angelegt sind. An Instrumenten zur Herbeiführung einer Fremdbestimmung herrscht kein Mangel. Es beginnt mit dem Seidenschal, der, um Augen oder Handgelenke gewickelt, seine Wirkung nicht verfehlt, wenngleich er doch besser für das geeignet ist, was im realen Leben die einzig akzeptable Form der Fremdbestimmung darstellt: Einvernehmliche Handlungen.

Das wirksamste Instrument zu unserer Fremdbestimmung führen wir jedoch stets mit uns. Nein, liebe Leserin, ich meine nicht die Handschellen in Ihrer Handtasche. Ich meine unser Gehirn. Auch damit beschäftige ich mich häufig – in der »Ras-Al-Masuf«-Serie, der »Eternal-Skin«-Reihe und in einzelnen Geschichten und Romanen, in denen munter drauflos manipuliert, operiert, indoktriniert und rasiert wird. Äh … Sie haben recht: Das letzte »iert« ist hier fehl am Platz.

Wir leiden mit den Opfern … und manchmal mit den Tätern … und fragen uns, in wessen Rolle wir uns womöglich selbst gern sehen würden.

Dabei sind wir alle bereits »Sklavinnen und Sklaven« … unserer Hormone. Ich habe es schon vor Jahren grob in meiner Einleitung zu »Ras-Al-Masuf« skizziert. Wir wissen immer noch sehr wenig über unsere Hirnchemie und das, was wir wissen können und sollten, wird uns von interessierten Kreisen vorenthalten. Warum? Um unseren Wunderglauben nicht zu gefährden, denn was soll aus dem Weihnachtsmann werden, wenn niemand mehr an ihn glaubt? Ein arbeitsloser Trinker mit Essensresten im Zottelbart? Ein Kleinkrimineller?

Kürzlich unterhielt ich mich mit einer jungen Frau, die gerade an ihrer Bachelor-Arbeit schreibt. Wir kamen ins Plaudern und irgendwann fiel die Rede auf ihren Ex-Freund, der ihr offensichtlich alles andere als gut getan hatte. Sie erzählte nichts von seinen Missetaten und klagte ihn nicht einmal an. Sie klagte sich selbst an, weil sie »viel zu lange« bei ihm geblieben war, ihn nicht verlassen hatte, obwohl sie doch genau wusste, dass er ihr nur schadete. Sie sah mich mit großen Augen an, als ich meinte. »Klar. Das passiert den meisten Frauen und eigentlich jeder Frau mindestens ein Mal in ihrem Leben. Das ist ganz natürlich.« Dann informierte ich sie über die Ursachen, erläuterte ihr die Wirkungsweisen des »Bindungshormons« Oxytocin und ihre Augen wurden noch größer. Langer Rede kurzer Sinn: Außer mir hatte ihr noch niemand gesagt, dass ihr Verhalten natürlich war und es überhaupt keinen Grund gab, dass sie sich Vorwürfe machte. Zugegeben – der Kerl hatte ihr große Qualen bereitet und war ihrer Gemütsverfassung höchst abträglich gewesen, aber eine andere, schnellere Entscheidung war ihr so unmöglich gewesen wie das Fangen eines Balls mit hinter dem Rücken gefesselten Händen.

Viele unserer Fesseln nehmen wir nicht einmal wahr. Manche haben wir ererbt, andere eher unbewusst übernommen. Konventionen spielen eine Rolle und sogar Herkunft und sozialer Status fesseln uns und hindern uns daran, die für uns richtigen Entscheidungen zu treffen. Die wirksamsten Fesseln sind die, über die wir uns sogar freuen. Manche Fesseln lieben wir und wir wären unglücklich, wenn man uns von ihnen befreien würde. Wer soll sich anmaßen, über uns zu richten?

In der folgenden Geschichte geht es um einen »Psycho«, der sein Opfer mit einer Methode »fesselt«, die so radikal ist, wie sie uns selbstverständlich erscheint. Viele von uns begeben sich gern in diese Fesseln und sind damit glücklich. Manche glauben nur, dass sie damit glücklich werden und müssen dann mit dem Problem leben, dass sie aus diesen Fesseln nicht mehr herauskommen, obwohl sie gar nicht glücklich damit sind. Noch schlimmer wird es durch das Unverständnis des Umfeldes, denn das Glücklichsein gilt als gesellschaftliches Muss.

Nun, nicht immer machen unsere Hormone mit uns, was sie mit anderen tun.

Weil das Thema viel zu groß für eine einzige Chris-Dell-Geschichte ist, reduziere ich es – natürlich unzulässig – auf Teilaspekte. Weil es so sexy sein soll, wie es trotz diverser Begleitumstände und trotz aller Bigotterie auch »real« durchaus sein kann, erlaube ich mir (wie immer) ein paar schriftstellerische Freiheiten.

Ups – die Seite ist schon zu Ende und ich habe noch gar nicht richtig verraten, worum es eigentlich geht. Dann werden Sie es wohl selbst herausfinden müssen. Viel Spaß dabei!

Chris Dell

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