Außer Atem - Einschnürende Erfahrungen im Erziehungs-Institut Außer Atem  
 
1: Adel verpflichtet

Manchmal habe ich mich schon gefragt, womit ich William überhaupt verdient hatte. Er war eigentlich genau so, wie ich mir meinen Traummann immer erträumt hatte – charmant, witzig, zuvorkommend, gutaussehend, aufgeschlossen, unternehmungslustig, zärtlich, liebevoll und stark.

Es existierte nur eine Sache, die mich an ihm störte, aber dafür gab ich mir selbst die Schuld. Es ist nicht so, dass William kein Familienmensch gewesen wäre. Meine Mutter wickelte er gekonnt um seinen Finger und Daddy konnte nach anfänglichen Anflügen von väterlicher Eifersucht nicht anders, als William auch einfach nur toll zu finden. Keine Frage – ich hatte meinen Eltern den perfekten Schwiegersohn präsentiert.

Will zögerte nie, wenn ich ihn bat, mit mir meine Eltern zu besuchen. Ich glaube, er mochte sie. Vielleicht fühlte er sich bei ihnen sogar mehr zu Hause als bei seiner eigenen Familie.

Womit wir beim Thema wären.

Will sprach auffallend selten über seine Leute. Die spärlichen Informationen, die er mir gab, musste ich mir mühsam „erarbeiten“. Als ich William kennenlernte, fand ich seinen britischen Akzent total süß. Er hingegen schien sich dessen ein wenig zu schämen. Irgendwann erfuhr ich dann, dass sein Dad ein echter Lord war. Wills Mutter war früh gestorben und Lord Walkford hatte sich eine sehr viel jüngere Frau genommen. Williams Stiefmutter war nicht älter als er selbst. Eine Weile lang hatte ich geglaubt, dass darin ein Problem für ihn liegen würde, aber das war wohl doch nicht so.

Will hat es immer bestritten, aber ich war nach einer Weile überzeugt, dass es an mir lag.

Ich war einfach nicht „standesgemäß“.

Meine Eltern hatten zwar ein gutes Einkommen, aber sie waren nicht wirklich vermögend und adlig natürlich sowieso nicht. Wie denn auch? „Von Jackson County bei Maine“ eignet sich schlecht als Adelstitel.

Und ich?

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Und ich?

Als Königin der Ballsäle sah ich mich nun wirklich nicht. Okay, ich war nicht hässlich, aber ich hatte dieses Problem. Naja – zwei Probleme. Sie fingen an, als ich elf war und wuchsen immer weiter. Ich war nicht groß. Ich hatte einen insgesamt eher schlanken Körper … eben abgesehen von meinen beiden „Problemen“, die dazu einfach nicht passten. In der Pubertät brachten sie mir den Spitznamen „Busty“ ein. Ich hasste das!

Diese Dinger führten jedenfalls dazu, dass ich mich zurückzog. Ich machte nicht beim Tanzkurs mit, riss keine Jungs auf und kleidete mich sehr zurückhaltend.

Ich war ein schüchternes Mädchen.

William hingegen war hartnäckig.

Ich hatte ihn in meinem letzten Jahr auf der High- School kennengelernt und er war einfach nicht davon abzubringen. Naja, ich kann nicht behaupten, dass ich ihn wirklich hätte zurückweisen wollen. Er wurde mein erster fester Freund und mein erster Liebhaber. Mit ihm an meiner Seite verlor ich ein großes Stück meiner Unsicherheit.

Wir waren zwei Jahre zusammen und studierten inzwischen gemeinsam, als das Thema aufkam. Okay – natürlich war das früh, aber wenn man wirklich verliebt ist … so, wie wir es waren?

Als er mir dann die Frage aller Fragen stellte, machte ich zur Bedingung, dass ich erst seine Familie kennenlernen wollte. Zum ersten Mal erlebte ich William unsicher.

„Joanne, Du musst doch nicht meine Familie heiraten“, meinte er.

„Ich weiß. Willst Du sie denn überhaupt zur Hochzeit einladen, oder ist Dir das lieber, wenn die mich gar nicht kennenlernen?“

„Darum geht es doch nicht.“

„Nein? Worum denn dann? Das ist doch normal, dass ein Vater die Braut seines Sohnes wenigstens mal gesehen hat, bevor der sie heiratet.“

„Seit wann kümmerst Du Dich darum, was ‚normal‘ ist?“

„Seit es um den wichtigsten Tag meines Lebens geht. Ich möchte nämlich, dass es auch der schönste Tag wird.“

„Das will ich doch auch.“

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„Das will ich doch auch.“

„Dann möchte ich Deinen Dad kennenlernen. Ich werde Dir bestimmt keine Schande machen.“

„Schande? Unsinn! Du bist die wunderbarste Frau auf dieser Welt. Ich bin stolz, dass Du meine Frau wirst.“

„Will, wenn es nicht um meine bürgerliche Herkunft und meine Nationalität geht … wo liegt denn dann das Problem? Meinst Du nicht, dass wir das gemeinsam lösen können?“

Ich konnte sehen, wie es in ihm arbeitete. Er schien sich regelrecht zu etwas durchringen zu müssen. „Vielleicht liegst Du mit der ‚Schande‘ nicht ganz falsch. Es ist nur so, dass ich mich nicht für Dich, sondern für meinen Vater schäme.“

Aha. Es ging ihm also darum, mich nicht vor den Kopf zu stoßen. Ich war erleichtert. „Was ist denn so schlimm an Deinem Vater?“

„Ach, er ist … er ist nicht nur das Klischee eines hochnäsigen englischen Lords …“

„Das macht doch nichts. Vielleicht finde ich ihn ja ganz süß und mit Deiner Hilfe kann ich ja üben, mich ‚standesgemäß‘ zu verhalten.“

„Wenn es nur das wäre“, seufzte William, „aber … also … wenn ich behaupten würde, dass das Frauenbild meines Vaters aus dem vorletzten Jahrhundert stammt, dann wäre das eine Untertreibung.“

„Oh. Naja. Ich meine … ich bin ja nicht gerade eine Feministin, oder?“

Ich kicherte, aber Will blieb ernst. Er sah besorgt aus. „Nein, Jo, das bist Du wohl nicht. Du bist eine ganz normale, amerikanische, junge Frau mit einer eigenen Meinung, vernünftigen Ansichten und einem wunderbaren Charakter.“

„Und Du bist ein Schatz.“ Ich gab ihm einen Kuss. „Mach Dir keine Sorgen, Liebster! Dein Dad kann der schlimmste Chauvi sein. Ich komme damit schon klar. Er lebt eben in seiner Welt und hat seine Sicht der Dinge. Wenn das alles wirklich so schlimm ist, dann muss ich ihn doch trotzdem nicht verurteilen. Ich will ihn ja nur mal sehen und er soll mich auch mal kennenlernen. Ich weiß doch, dass Du nicht er bist. Wenn er allzu großen Mist von sich gibt, dann reiße ich mich eben zusammen und widerspreche nicht. Ich kann das schon.“

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„Ich kann das schon.“

„Es ist ja nicht nur mein Vater. Mein Bruder Richard ist auch so … irre. Wenn Du Christine, die Frau meines Vaters und Diana, meine Schwägerin, siehst, fällst Du glatt in Ohnmacht.“

„Hahaha! Ich werde es schon überleben. Was ist mit denen? Tragen die komische Hüte, gehen zum Pferderennen und pudern sich ununterbrochen ihre feinen, aristokratischen Näschen? Das wird bestimmt lustig, wenn meine Vorurteile bestätigt werden, hihi. Du musst mir nur ein paar Tipps geben, dann pudere ich mein Näschen auch.“

William blieb immer noch ernst. Irgendwie musste da mehr dahinterstecken, als eine etwas schräge Verwandtschaft. Er sah so besorgt aus! Dann meinte er: „Wenn ich Richard Dir gegenüber erwähnt hatte … also … er ist mein jüngerer Bruder.“

„Dann wirst Du irgendwann Lord Walkford. Und ich … hey! Ich werde Lady Walkford. Das ist doch cool!“

Will schien es nicht so cool zu finden. „Als mein Bruder Diana heiraten wollte, hat Vater darauf bestanden, sie vorher in eine Art ‚Erziehungsinstitut‘ zu schicken.“ Ich verschluckte mich fast. Ich riss meine Augen auf. „Das ist nicht Dein Ernst!“

Will lächelte nicht. „Ich bin der Erstgeborene.“ Allmählich begriff ich. Will hatte einfach Angst, dass ich etwas auf mich nehmen müsste, was ich nicht wollte. „Du meinst, Dein Vater würde darauf bestehen, mich auch in dieses ‚Institut‘ zu schicken? Als Bedingung dafür, dass er uns seinen Segen gibt? Deshalb wolltest Du mich heiraten, ohne dass er es erfährt? Um mir das zu ersparen?“

„Ja und ja und ja.“

„Was ist das für ein Institut?“

„Es heißt ‚Educational Institute For Real Ladies‘. Es wird von einer Gruppe Adliger und ein paar Industriellen finanziert, die ihre Frauen oder Töchter dorthin schicken, um aus eigenständig denkenden Wesen dumme, angepasste Weibchen zu machen.“

„Und was ‚lernen‘ die da?“

„Ich weiß es nicht genau. Ich habe das immer abgelehnt und mich nie dafür interessiert, aber es scheint zu funktionieren, denn meine Schwägerin war vorher ganz in Ordnung und ist seitdem eine dumme Pute wie Christine.“

„Meinst Du, man könnte eine dumme Pute aus mir machen?“

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„Meinst Du, man könnte eine dumme Pute aus mir machen?“

Das ganz sicher nicht, aber ich finde nicht, dass Du so einen Quatsch mitmachen musst, nur damit mein Vater mit Dir einverstanden ist. Der geht ja auch nicht auf eine Schule, wo man einen normalen Menschen aus ihm machen würde, um Dir ‚angemessen‘ zu erscheinen. Naja, das würde wohl auch nichts nützen.“

William kannte mich. Er kannte auch die Probleme, die ich vor unserer Zeit gehabt hatte. Ich konnte mit ihm wirklich über alles reden und ich hatte ihm erzählt, dass ich nie „dazugehört“ hatte, nie auffallen wollte, mich nie irgendwie „besonders“ gefühlt hatte. Das einzig Besondere an mir war in meinen Augen meine Oberweite gewesen und die war für mich eher ein Grund, mich zu verstecken, statt womöglich stolz zu sein. Es war Will gewesen, der mich endgültig von den Gedanken an eine reduzierende OP abgebracht hatte – nicht, weil er ein Fan großer Brüste gewesen wäre, sondern weil er mir das Gefühl gab, mich so zu lieben, wie ich war. Bei ihm fühlte ich mich schön und begehrenswert.

Ich hatte mich in Will verliebt, ohne Näheres über seine Abstammung zu wissen. Das folgte erst später. Jetzt jedoch, als immer mehr über seine Herkunft ans Tageslicht kam, verspürte ich das seltsame Bedürfnis, doch einmal dazu zu gehören - zu Will und zu seinem Hintergrund. Ich wollte akzeptiert werden. Will tat es. Sein Vater sollte es auch. Ich wollte tatsächlich Lady Walkford werden. Ich war bereit, eine ganze Menge dafür zu tun. Ich sagte es Will und nach anfänglichem Kopfschütteln schien er mich zu verstehen. Wenn sein Vater wirklich auf meiner „Erziehung“ bestand, dann wollte ich es tun. Was sollte mir schon passieren? Ich war ja so naiv!
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