Der Krieg beginnt - Die letzte Front, Band 1 Der Krieg beginnt  
 

TEIL A: Rekrutierung

1: In Feindesland

Die beiden Agentinnen wussten nicht, welchem Zweck das Material zugeführt werden sollte. Sie wussten nur, dass es geeignet war, denn die Zentrale hatte grünes Licht für den Zugriff gegeben. Das bedeutete, dass die gesam-melten DNA-Proben positiv waren.

Die Proben waren selten negativ.

Mit der Zeit hatten die Agentinnen ein Gespür dafür entwickelt, welches Material gut und welches weniger gut formbar war. Letzten Endes waren alle weiblichen Menschen irgendwie zu gebrauchen, aber die Zentrale achtete darauf, dass der Aufwand zur Herstellung der benötigten Komponenten nicht zu hoch war. Schlechteres Material bedeutete Verzögerungen in der Fertigung, Verzögerungen bedeuteten Zeitverlust und Zeitverlust bedeutete, dass die Menschen womöglich besser auf das reagieren konnten, was ihnen bevorstand.

Präzision war wichtig. Geschwindigkeit war wichtig. Versagen war keine Option. Die Befehle waren eindeutig.

Im Gegensatz zu vielen anderen Drohnen wussten die beiden Agentinnen, dass sie selbst einst Menschen gewesen waren. Viele ihrer Erinnerungen waren nicht gelöscht worden, damit sie sich unauffällig unter den Menschen bewegen konnten. Anders als fast alle anderen Drohnen waren sie nicht einmal an den Lebensraum der Schöpfer angepasst worden und so konnten sie mit nur geringfügiger Tarnung ihre Aufgaben erfüllen.

Seit etwas mehr als hundert Jahren sammelten sie nun Proben und transportierten Material für die vielfältigen Zwecke der Schöpfer zur Zentrale. Besonders leicht war dies stets in den Kriegen gewesen, mit denen sich die Menschen so gern selbst vernichteten. Vor gut 80 Jahren hatte es den großen Krieg gegeben, den die Menschen den Zweiten Weltkrieg nannten und nie war es leichter gewesen, die Zentrale zufriedenzustellen.

In Zeiten oder Regionen, in denen sich die Menschen ausnahmsweise einmal nicht bekriegten, war ein etwas subtileres Vorgehen erforderlich. Die Agentinnen verglichen es mit dem Fischen: Im Krieg reichte es aus, ein Netz ins Wasser zu halten und im Frieden (so, wie die Menschen den Zustand beschrieben, in dem sie mal keine Massaker untereinander begingen) musste das geeignete Material einzeln mit der Angel beschafft werden.

Natürlich bemerkten die Menschen in Friedenszeiten, wenn mal wieder ein Exemplar verschwand. In solchen Phasen, in denen zu wenige Kriege passierten und vor allem die Zivilbevölkerung weitgehend verschont blieb, konnte ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit nicht vermieden werden. Die Produktion durfte trotzdem nicht unterbrochen werden, denn die Menschen waren nicht nur zäh – ihre vollständige Ausrottung wäre auch für die Ausbeutung künftiger Planeten kontraproduktiv gewesen; so gut, wie sich die Menschen nun einmal als Kampfdrohnen eigneten.

Leider war das männliche Material von minderwertiger Qualität. Die Herstellung künstlicher Synapsen zur besseren Vernetzung der männlichen Gehirnhälften erschien den Schöpfern als überflüssiger Aufwand. Andererseits eigneten sich die männlichen Menschen mit ihren mangelhaften Multitasking-Fähigkeiten immerhin für den lang-fristigeren Weg der Drohnenerschaffung: Die natürliche Reproduktion. Allzu viele Exemplare waren dafür nicht nötig und die biologisch angelegte Fokussierung männlicher Menschen auf einfache Aufgaben machte ihre Verwendung zu Reproduktionszwecken durchaus sinn-voll. Im Gegensatz zu den weiblichen Drohnen wurde die Lebenszeit männlicher Reproduzenten nicht erhöht und ihre DNA sowie biologische Komponenten wurden nur so weit verbessert oder ausgetauscht, wie es für diesen einzigen Verwendungszweck sinnvoll erschien.

Es wurde Zeit.

Während sich Agentin 386-900 bereits mit einem Ganzkörper-Make-Up zum Kaschieren ihrer makel- und alterslosen Haut sowie mit menschlicher Kleidung verunstaltet hatte, prüfte Agentin 384-900 noch ein letztes Mal die Satellitenverbindung. Die menschliche Technologie war ebenso simpel wie nützlich und half oft, kostbare Ressourcen der Zentrale zu sparen. „Das Lieferobjekt befindet sich jetzt am Ufer. Es werden keine anderen Menschen angezeigt. Wir haben genug Zeit für den Zugriff.“

Den Agentinnen war nicht nur die Möglichkeit zu menschlicher Kommunikation zugestanden worden – für die Erledigung ihrer Aufgaben erwies sich dies sogar stets als höchst vorteilhaft.

„Gut“, meinte 386. „Ich bereite die Ausrüstung vor, während Du Dich tarnst.„

„Ich hoffe, das Objekt ist auch diesmal den Aufwand wert. Diese Einzelzugriffe sind nicht effektiv.“

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„Wie es aussieht, bereiten ein paar islamische Irre in Zentralafrika eine ethnische Säuberung vor. In wenigen Tagen können wir da sicher wieder Material in größeren Mengen beschaffen“, stellte 386 mit Genugtuung fest.

384 nickte, während sie ihre Hände mit dem Pigmentschlamm einrieb, der die Farbabweichungen, Unreinheiten, Falten und Umweltschädigungen menschlicher Haut simulieren sollte. Die Agentinnen kannten zwar weder Protest noch Widerspruch (geschweige denn, Ungehorsam), doch dieser Teil ihrer Aufgaben war ihnen schon ein klein wenig unangenehm.

Die Aktion selbst verlief reibungslos und die Agentinnen konnten sich schon bald der lästigen Tarnung wieder entledigen.

Sie hatten das Objekt aus angemessener Entfernung mit einem Betäubungsprojektil getroffen, so dass es gar nicht realisierte, was geschah, als es von dem morgendlichen Bad im Meer ans Ufer trat. Die Agentinnen hatte ihre Aufgabe – wie immer – gründlich vorbereitet und wussten, dass ihre Beute dies als morgendliches Ritual (wohl aus Gründen der Fitness) auch dann praktizierte, wenn sowohl Wasser als auch Luft nach menschlichen Maßstäben recht kalt waren. Da dies andere Menschen von einem Bad im Meer zu früher Stunde abschreckte, galt es lediglich, einen Zeitpunkt zu wählen, an dem auch der Strand menschenleer war. Wichtig war dies nicht nur für einen unbeobachteten Zugriff – mindestens gleiche Bedeutung hatte auch die anschließende Nachbereitung: Die Spurenlage musste so gestaltet werden, dass eine Fremdeinwirkung ausgeschlossen schien. Unfall oder Selbstmord – viele Jahrzehnte erfolgreicher Arbeit hatten den Agentinnen die nötige Erfahrung und Routine vermittelt, um ihre Aufgabe auch diesmal perfekt auszuführen.

Nachdem sie das Objekt in ihr Quartier verbracht hatten, galt es, das Material für den Transport vorzubereiten. Seit einer Beinahe-Katastrophe einige Jahre nach dem großen Krieg in der Nähe einer amerikanischen Kleinstadt stand der Name „Roswell“ für die Gefahren einer nicht perfekt ausgeführten Mission. Damals hatten Agentinnen das Objekt nicht ausreichend gesichert, es kam zu Chaos an Bord der Transportsphäre, in dessen Folge das Tarnsystem ausfiel und die Sphäre abstürzte. Eine Zeitlang hatten die Schöpfer sogar einen Abbruch der gesamten Operation erwogen, aber die Ressourcen dieses Planeten waren zu kostbar und seine Bevölkerung wurde zum Glück von paranoiden Trotteln regiert, deren größte Angst nicht äußeren Gefahren, sondern der Aufgeklärtheit des eigenen Volkes galt. Die Menschen ersannen immer wieder neue, aberwitzige Geschichten, um sich gegenseitig einfältig zu halten und zu unterjochen und nannten diesen Wahnsinn dann „Religion“ oder „Ideologie“. Nach einem kurzen Innehalten stellten die Schöpfer fest, dass die damaligen Anführer der Menschen ihren Völkern die Entdeckung der Sphäre verheimlichten. Offiziell hieß es wohl, man wolle die Bevölkerung nicht beunruhigen, aber tatsächlich stand dies in den üblichen Traditionen der Menschen, wonach sich ein dummes, uninformiertes Volk besser regieren lässt. Aus diesem Grund setzten die Schöpfer die Operation fort, denn die Erfolgsaussichten blieben nach wie vor hoch genug, solange die Menschen nur ihren primitiven Entwicklungsstand, in dem sie der Aberglaube sogar von wissenschaftlichen Forschungen Abstand nehmen ließ, beibehielten. Solange die Menschen sich fanatische Greise mit Kontrollneurose, alkoholkranke Ungebildete, psycho-pathische Massenmörder und Wichte mit Minderwertig-keitskomplexen zu Führern auswählten, blieben sie und ihr Planet eine leichte Beute.

So setzten die Agentinnen ihre Arbeit mit gebotener Sorgfalt fort. Es spielte keine Rolle, dass dabei das Objekt das Bewusstsein zwischenzeitlich wiedererlangte, denn in der Vorbereitungseinheit (VE) war es ausreichend gesichert. Natürlich fanden die Menschen die Standardprozedur unangenehm. Manchmal half es, ihnen die Notwendigkeit zu erklären, manchmal war es besser, die finale Sedierung vorzuziehen.

Das aktuelle Material wirkte eher überrascht als verängstigt. Das machte die Arbeit für die Agentinnen angenehmer, denn Angst gehörte zu den unangenehmsten und nutzlosesten Eigenschaften der Menschen. 386 schloss zufrieden die Tür der VE.

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Das Objekt wurde nun mit Sauerstoff versorgt, dem allmählich mehr und mehr Methan zugesetzt wurde.

Gleichzeitig setzte eine in die VE integrierte, automatische Spritze eine DNA-verändernde Substanz in die Blutbahnen des Objekts frei, die zwar noch nicht zu einer grundlegenden Veränderung des Metabolismus führte, aber sicherstellte, dass die methanhaltige Umgebung an Bord der Transportsphäre das Material nicht beschädigte.

Kam dann das Material unbeschädigt an Bord des Mutterschiffes an, konnte es für kurze Zeit auch die dortige Atmosphäre aushalten, während es in die zentrale Transformation (ZT) verbracht wurde. Bis dahin waren die Ergebnisse der Tests, welche die Agentinnen in der Zeit der Bewusstlosigkeit des Objekts anhand diverser Proben und Vermessungen durchgeführt hatten, ausgewertet und die Entscheidung über die künftige Ver-wendung der neuen Drohne war gefallen, so dass deren Transformation dann ohne Zeitverlust beginnen konnte.

Mir Schließen der VE-Tür wurde außerdem ein Aerosol freigesetzt, welches die Reproduktion der menschlichen Epidermalzellen beendete. Gleichzeitig wurden damit die Durchblutung der äußeren Epidermis unterbrochen und die neuronalen Verbindungen gelöst, wodurch später ein einfaches und schmerzfreies Ablösen der viel zu empfindlichen, alternden und insgesamt ungeeigneten menschlichen Haut ermöglicht wurde. Schließlich wurde ein starkes Sedativ intravenös verabreicht.

Wenn das Objekt im Mutterschiff ankam und aufwachte, hatte die Transformation gerade erst begonnen und war doch schon irreversibel.

Dieses Verfahren hatte sich in den letzten 100 Jahren als höchst effektiv erwiesen.


2: Dunkle Wolken

Tracy Lansing konnte sich kaum vorstellen, es noch ein weiteres Jahr bei der Soko Copperfield auszuhalten.

Natürlich war das nicht der richtige Name der FBI-Sonderkommission für unaufgeklärte Vermisstenfälle. Es handelte sich um einen Scherznamen, den die Kollegen der Einheit gegeben hatten, weil dort die Fälle gesammelt wurden, bei denen es weder Täter, noch Motiv, noch Leiche gab. Die meisten dieser Fälle sahen wie Suizid oder Unfall aus, aber nie fand man die Opfer. Andere Namen für die Einheit lauteten: „Kellerasseln“, „Die Verdammten“, „Trash-Bin-People“ oder schlicht „Karriereabseits“. Es gab nichts als spurlos Vermisste, Akten ohne Hinweise, trauernde, zornige oder resignierende Hinterbliebene, schlechte Luft und miese Stimmung … und null Auf-klärungserfolg.

Tracy wollte zunächst nicht wahrhaben, dass Carlton damit tatsächlich durchkam. Anfangs gab sie sich selbst die Schuld. Es war nicht nur ein Fehler und höchst unprofessionell gewesen, eine Affäre mit einem vorgesetzten Agent einzugehen, es handelte sich auch nicht nur um eine grobe geschmackliche Entgleisung, wie Tracy bald feststellen musste, sondern es war vor allem ein kompletter Ausfall ihrer ansonsten guten Menschenkenntnis und mit hoher Wahrscheinlichkeit nichts weiter als das Ergebnis eines adoleszenten Hormonschubes gewesen, dass sie Carltons Werben nachgegeben und den Kerl dann noch sechs Wochen ertragen hatte.

Die Charakterzüge, die sein späteres Verhalten bestätigte, waren der Grund gewesen, warum Tracy Schluss gemacht hatte.

Sie waren auch der Grund, warum Carlton in einem Akt verletzter Eitelkeit aus Rache dafür sorgte, dass Tracy zu den Kellerasseln abgeschoben wurde.

Am Anfang war sie noch froh, dass sie auf diese Weise nicht befürchten musste, Carlton über den Weg zu laufen, doch schon nach kurzer Zeit erfuhr sie von ihren neuen Kollegen, die entweder Nerds, Geschasste wie Tracy selbst oder Phlegmatiker waren, von welcher Qualität die Fälle waren, die zum Teil seit mehr als 50 Jahren ihrer Aufklärung harrten. Es war die pure Hölle für jeden ambitionierten FBI-Agent … und schlimmer als die Hölle für Tracy.

Dennoch versuchte sie, ihre neuen Kollegen aus der Lethargie aufzuwecken. Sie startete neue Programme und sorgte für die Untersuchung möglicher Zusammenhänge, wo kein vernünftiger Mensch unter normalen Umständen – und unter kriminologischen Aspekten – Verbindungen gesucht hätte. Tracy kümmerte sich sogar um das Fernsehprogramm während der jeweiligen Ereigniszeiten und ließ, begleitet vom Kopfschütteln ihrer Kollegen, schließlich auch noch das Wetter untersuchen.

Es führte zu … nichts.

Gar nichts.

Nicht der Hauch einer Spur, einer Parallele oder auch nur einer winzigen Auffälligkeit (abgesehen vom spurlosen Verschwinden an sich).

Ein Jahr lang quälte Tracy so sich selbst und die anderen Agents aus der Abteilung„Karriereabseits“.

Lediglich Porter Riggs, ein älterer Kollege mit einer Vorliebe für Statistik und Analytik, schien ganz froh darüber zu sein, dass Tracy für ein wenig Abwechslung sorgte. Es war dann auch Porter, der ein paar Tage nach Tracys Jahrestag in der Einheit mit einer hochgezogenen Braue in Tracys Büro kam. „Ich kann mir zwar nicht vorstellen, wie uns das weiterhelfen könnte, aber ich habe eine Parallele gefunden. Es ist eine … äh … sehr seltsame Sache.“

„Ist bei uns nicht alles seltsam?“

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Tracy wusste, dass Porter sich monatelang mit meteoro-logischen Auswertungen befasst hatte und bewunderte den Kollegen regelrecht für seine Ausdauer (oder war es doch eher eine Form des Autismus?).

Porter lächelte ein schiefes Lächeln. „Klar. Wir sind ja die Verdammten. Das hier ist aber wirklich sehr seltsam.“

„Lass hören!„

„Nachdem ich zwei Monate lang rein gar nichts Auffälliges entdeckt hatte, machte ich mir eine Technik der Archäologie zu Nutze: Wenn man nicht weiß, womit man es zu tun hat, muss man die Dinge von oben betrachten. Ich habe mir also unsere Karte angesehen – Du weißt schon: Die Karte mit den Vermisstenfällen der letzten zehn Jahre, die Du angefertigt hast.“

„Und da hast Du etwas entdeckt?“ Tracy war neugierig, was denn der Kollege gesehen haben könnte, was ihr entgangen war.

„Nicht direkt. Wir wussten ja schon, dass wir es mit einer Art konzentrischer Ringe zu tun haben. Hier – steck das mal in Deine Kiste!“

Tracy nahm den Datenstick entgegen und sah nach kurzer Zeit die bekannte Karte auf dem Monitor.

„Das sind die Muster, die Du kennst“, meinte Porter. „Die roten Punkte stellen die Orte dar, an denen unsere Verschwundenen vermisst oder an denen sie zuletzt gesehen wurden. Soweit kennst Du die Darstellung.“

Tracy nickte. Sie war nervös. In Porters Stimme schien eine Anspannung zu liegen, die sie so noch nie bei dem erfahrenen und ansonsten stets gelassenen Kollegen gehört hatte. Der beugte sich über Tracys Schulter und drückte eine Taste auf Tracys PC-Tastatur. Das Muster veränderte sich leicht. „Ich habe einen Algorithmus entwickelt, um die Muster zu vereinfachen“, erklärte Porter. „Dabei ging ich davon aus … wir sprachen ja mehrfach bei den Briefings darüber …, dass das jeweilige Verschwinden nicht an dem Ort passiert ist, an dem die Vermissten zuletzt gesehen wurden. Mein Algorithmus hat das jetzt durchnivelliert und wir bekommen ein etwas abweichendes Muster auf Basis der berechneten Annahmen. Hier.“ Nach einem weiteren Tastendruck veränderte sich die Lage der Punkte. Einige wurden näher zu einer bereits vorhandenen Ansammlung dargestellt. Insgesamt wirkte das Muster jetzt übersichtlicher und die roten Punkte sahen aus wie kleine Galaxien auf einer Sternenkarte. Genau diesen Eindruck teilte Tracy ihrem Kollegen mit.

„Nicht wahr?! So sieht es wirklich aus. Ich finde das auch. Lass uns ruhig bei diesem Eindruck bleiben, Tracy! Wenn das Galaxien sind – was fehlt ihnen denn dann?“

„Ich bin keine Astronomin, Porter, aber ich nehme an, Du kannst mich aufklären.“

„Galaxien sind meist spiralförmig. Sie kreisen um ein schwarzes Loch, das sie allmählich verschlingt. Unsere Milchstraße hat in ihrem Zentrum auch so ein schwarzes Loch.“

„Und Du meinst, die Vermissten wurden von schwarzen Löchern verschluckt? Wenn ich das so nach oben berichte, kommen wir alle in die geschlossene Psychiatrie!“

Porter lächelte. „Vermutlich. Da können wir uns dann mit Ufologen, Astrologen und Scientologen austauschen.“

„Und Urologen?“

Beide lachten. „Da hast Du etwas verwechselt, Tracy. Du könntest Präsidentin werden, denn da hat auch schon mal einer mobile Scheißhäuser mit Chemiewaffen verwechselt. Nein, jetzt mal ernsthaft: Schwarze Löcher habe ich nicht gesucht, aber Du siehst selbst, dass nach dem Algorithmus so etwas wie Zentren erkennbar sind, die in der Mitte der diversen Vermisstenstandorte zu liegen scheinen.“

„Stimmt. Das hatten wir schon erwogen, aber nach Deiner Berechnung lassen sich diese … Zentren viel besser erkennen. Wir hatten ja auch Teams hingeschickt, wo wir so etwas vermuteten, aber sind nie fündig geworden. Du weißt das. Du warst bei einigen Einsätzen dabei.“

„Stimmt. Meist waren das irgendwelche Industriebrachen und wir fanden nie eine Spur. Ich glaube, dass wir an den richtigen Orten gesucht haben. Wir haben nur zur falschen Zeit gesucht.“

„Wie meinst Du das?“

„Ich habe die Suche nach Wetterphänomenen auf die Zentren konzentriert. Gefunden habe ich nichts. Das hat mich fast drei Monate lang frustriert. Dann kam ich auf die Idee, nicht nur die Orte, sondern auch die Zeiten zu verändern. Ich fügte eine vierte Dimension hinzu und suchte im Abstand von jeweils zwei Wochen vor und nach einer gleichfalls mit Algorithmus nivellierten Zeitspanne. Ich ging von den Vermisstenmeldungen und den Meldungen der letzten Sichtungen aus. Ich habe mir von den Meteorologen so ziemlich alles zeigen lassen, was die an Aufzeichnungen über den errechneten Zeitraum hatten – quer durch die Staaten. Das habe ich dann zugeordnet und mit einem Datum versehen. Alle Phänomene gleichen Datums habe ich als blaue Kreise in der Karte markiert. Ausgehend von meinen nivellierten Daten ist zwei Tage nach dem jeweils errechneten Verschwinden tatsächlich ein Wetterphänomen aufgetaucht: Eine regional begrenzte Schlechtwetterfront, ein Mini-Tornado, wie sie zum Beispiel im mittleren Westen häufig auftauchen. Hier finden wir sie aber an zum Teil ganz und gar untypischen Orten.“ Porter drückte eine weitere Taste und Tracys Augen weiteten sich, als sie die auf dem Monitor erscheinenden blauen Kreise sah.

Inmitten einer Ansammlung roter Kreise tauchte jeweils ein blauer Kreis auf. Das Bild der Galaxien bestätigte sich. Jetzt allerdings waren auch die schwarzen Löcher eingezeichnet. Zwei Tage nach dem Verschwinden hatte es jeweils einen Mini-Sturm im Zentrum gegeben.


3: Geheimdienst

In der Zeit zwischen dem Instrumentencheck und dem Lösen aus dem Cockpit hatte Captain Sylvie Benson stets dieses Siegerlächeln auf den Lippen, das sich automatisch einstellte, wenn das Adrenalin zurückging.

Sie liebte das Fliegen.

Sie liebte ihren Job.

Sie war eine der besten Jagdfliegerinnen und auch die meisten Männer konnten sich mit Sylvie nicht annähernd messen. Die junge Jet-Pilotin, deren Karriere beim Militär nahezu beispiellos war, wusste das genau. Sie hielt es nicht für nötig, dies zur Schau zu stellen, was sie, wie sie glaubte, von ihren männlichen Kameraden unterschied, aber ihre Selbstsicherheit war spürbar.

Mit den Einsätzen in Asien war noch eine weitere Kom-ponente hinzugekommen, die Sylvie allenthalben Bewun-derung oder zumindest Respekt einbrachte: Gelassenheit und Umsicht einer Soldatin, die ganz genau weiß, dass der nächste Einsatz tödlich sein kann.

Sylvie war trotz ihrer Jugend nicht mehr leicht zu erschüttern.

Bis zu jenem Tag im Juni.

Sylvie war aus ihrer Maschine ausgestiegen und auf dem Weg zum Kommandostand, um ihren Flugbericht zu schreiben. Es hatte keine besonderen Vorkommnisse gegeben.

Schon von weitem sah sie die schwarze Limousine, die von zwei Soldaten bewacht wurde, welche weder zu ihrer Einheit, noch überhaupt zur Air-Force gehörten. Anhand der Uniformen tippte Sylvie auf Navy-Seals, aber den Wachen fehlten eindeutig ein paar Abzeichen. Das war merkwürdig.

Beim Näherkommen erkannte Sylvie einen weiteren Uniformierten, der gerade aus dem Wagen stieg.

Ein Offizier.

Ein General sogar.

Er schaute direkt in Sylvies Richtung und schien auf sie zu warten. Auf seinen Schulterklappen blitzten die Sterne. Sylvie holte tief Luft. Das war ein ganz und gar außergewöhnliches Vorkommnis. Dennoch bemühte sie sich, ihre Aufregung nicht allzu sichtbar werden zu lassen. Danach, dass der General angehalten hatte, um sie nach dem Weg zu fragen, rechnete sie allerdings nicht. Sie setzte ihren Weg fort und versuchte, dabei halbwegs cool auszusehen. Das gelang nur bedingt.

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Vor dem General, den Sylvie trotz seiner vier Sterne nicht kannte (allzu viele 4-Sterne-Generäle gab es in den Streitkräften nicht), salutierte sie und glaubte, den Anflug eines Lächelns auf dem Gesicht des Mannes zu erkennen, als dieser seinerseits militärisch grüßte. „Captain Benson, ich bin General Ross, Leiter des militärischen Geheim-dienstes. Bitte folgen Sie mir!“

Militärischer Geheimdienst? Der Chef? Kein Wunder, dass Sylvie noch nie vorher dieses Gesicht gesehen oder den Namen des hohen Tieres gehört hatte. Was wollte der General von ihr?

Flankiert von den Wachen (zur MP gehörten die offenbar auch nicht) folgte Sylvie dem General in ein Besprechungszimmer, das normalerweise selten genutzt wurde. Entsprechend spartanisch war die Einrichtung.

In dem Raum warteten zwei weitere Männer, die Sylvie diesmal aber recht gut kannte: First Lieutenant Stanley Pike, ihr Staffelkamerad und Wingman saß ein wenig unsicher neben Lieutenant Colonel Lester Jackson, dem Bataillionskommandeur.

Beide erhoben sich beim Eintreffen des Generals und salutierten. Dann ergriff Jackson das Wort: „Captain Benson, First Lieutenant Pike, Sie sind mit sofortiger Wirkung vom Air Combat Command zum Air Force Special Operations Command versetzt. Captain Benson, Sie sind zum Major befördert. Lieutenant Pike, Sie sind zum Captain befördert. Sie werden sich nach dem Gespräch mit dem General zu einem bereitstehenden Blackhawk begeben, der Sie zu Ihrer neuen Basis auf dem Stützpunkt Nellis Air Base in Nevada bringen wird. Sie werden unmittelbar nach dem Gespräch mit dem General Zivilkleidung anlegen und sich nicht von Ihrer Einheit verabschieden. Ihr Auftrag unterliegt der Geheim-haltungsklasse›Top Secret‹. Sie werden mit keiner Person innerhalb und außerhalb der Streitkräfte darüber spre-chen; es sei denn, sie werden dazu von einem Dienstvorgesetzten autorisiert. Sie werden Ihre Angehörigen nicht von Ihrer Versetzung unterrichten. Das übernehmen wir. Sie werden überhaupt keinen Kontakt mit Zivilpersonen aufnehmen, bis sie in Nellis neue Instruktionen erhalten haben. Ist das verstanden, Major Benson, Captain Pike?“

In Sylvies Kopf drehte sich ein buntes Karussell. Das war starker Tobak: Mir nichts, Dir nichts versetzt, befördert und zu den Special Ops abkommandiert, höchste Geheimhaltungsstufe und dann auch noch Nellis, Nevada!

Als Sylvie ihren Kameraden und guten Freund (er wäre gern ein noch etwas besserer Freund gewesen, aber Sylvie stand der Sinn nicht nach einer Beziehung und irgendwie war Stan ja lieb und nett, aber …) ansah, formte der seine Lippen so, dass Sylvie „51“ davon ablesen konnte. Fast hätte sie das zum Grinsen gebracht, denn in Nellis befand sich das angebliche Geheimprojekt „Area 51“, um das sich seit den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts das hartnäckige Gerücht rankte, man halte dort ein abgestürztes UFO unter Verschluss.

Mit ernsten Mienen riefen die Angesprochenen: „Ja, Sir!“

„Gut. Lassen Sie mich Ihnen noch sagen, dass wir Sie vermissen werden. Viel Erfolg bei Ihrer neuen Aufgabe! General.“ Jackson verließ den Raum. Offensichtlich war er nicht in die Einzelheiten des neuen Auftrages eingeweiht, da seine Zuständigkeit an dieser Stelle endete.

„Major, Captain“, begann stattdessen General Ross, „Sie sind erfahrene Kampfpiloten und ich muss ihnen nicht sagen, was Geheimhaltung in unserem Job bedeutet. Was Sie jetzt und in der nächsten Zeit erfahren werden, darf niemals, unter keinen Umständen und auch nicht aus Versehen an wen auch immer weitergegeben werden. Wir haben Ihre Akten genau studiert. Beide sind Sie entscheidungsstark, ohne draufgängerisch zu sein. Sie reagieren situativ, entschlossen und besonnen. Ihre fliegerischen Fähigkeiten werden als herausragend eingestuft. Deshalb haben wir Sie ausgewählt. Trauen Sie sich zu, die Stratosphäre zu verlassen?“

„Ins All, Sir?“ Stan konnte seine Begeisterung nicht verschweigen.

„So sieht es aus, Captain.“

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„Sir, sind solche Operationen nicht Sache des Air Force Space Command oder … der NASA?“ Sylvie konnte sich zwar, wie Stan, aufgrund der Chance, ins All zu fliegen, kaum noch zurückhalten, aber ihr kam an der ganzen Sache irgendetwas seltsam vor.

„Das ist zutreffend, Major“, antwortete der General, „aber es handelt sich nicht um eine einfache Raum-fahrtmission. Das, worüber wir hier reden, kann kein Satellitenkommando übernehmen und die NASA schon gar nicht. Wir reden von einem Militäreinsatz.“

„Im All, Sir? Ist das satellitengestützt?“

„Major, Detailfragen werden wir in Nellis klären. Was ich Ihnen jetzt schon sagen kann, ist, dass wir noch nicht wissen, in welchen Höhen Sie Ihre Einsätze fliegen werden, aber es nicht auszuschließen ist, dass Sie die Grenze der Erdanziehung passieren müssen.“

„Sir, das ist der Traum aller Flieger, aber wir sind Kampfpiloten. Wir sind ausgebildet, Jets zu fliegen. Womit kann man denn einen Kampfeinsatz im All absolvieren?“ Auch Stan schien jetzt nicht mehr nur noch begeistert zu sein.

„Ich bin hier, um Sie über das ›Was‹ zu informieren. Instruktionen zum ›Wie‹ erhalten sie auf der Basis. Was ich Ihnen jetzt schon sagen kann, ist, dass Sie eine ganz neuartige Maschine fliegen werden. Nach einem Crash-Kurs werden Sie das nicht allzu schwierig finden.“

Sylvie fand diese Erklärung etwas zu dürftig und hakte nach. Sie ging davon aus, dass sie die Geduld des Generals ruhig noch etwas strapazieren konnte. Es sprach eine Menge dafür, dass dieser irgendwie auf die Top-Pilotin und ihren Wingman angewiesen war. „Wir sind Soldaten, Sir. Wir freuen uns über die Gelegenheit, unserem Land im All zu dienen, aber wir sind Jagdflieger und keine Forscher. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, handelt es sich um eine Kampfoperation. Was oder wen sollen wir denn da oben jagen? Russen? Chinesen? Inder?“

„Weder noch, Major. Sie werden UFOs jagen.“

Sylvie konnte regelrecht hören, wie Stans Unterkiefer herunterklappte. Sie hatte Mühe, sich ein ungläubiges Grinsen zu verkneifen. Waren sie und Stan Opfer eines Streiches ihrer Kameraden (und des Colonels) geworden?

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