Die Puppe des Meisters Die Puppe des Meisters  
Fortsetzung von Puppet Factory Inc.
 
Vorbemerkung: Dieses Buch ist die Fortsetzung des Romans „Puppet Factory Inc.“. Für ein besseres Verständnis der Zusammenhänge wird daher die vorherige Lektüre von „Puppet Factory Inc.“ dringend empfohlen.

1: Das neue Zuhause

Meine Verwandlung war geschehen.

Nichts und niemand würde sie je wieder rückgängig machen können. Für mich gab es keine andere Möglichkeit mehr, als mein neues Dasein zu akzeptieren.

Ich hatte das Apartment betreten, das mein schlimmster Peiniger mir zur Verfügung gestellt hatte, damit ich dort mein neues Leben als Gummipuppe beginnen konnte.

Alles, was ich sehen konnte, sah auch er. Alles, was ich hören konnte, hörte er auch. Er hatte meine Sehnerven angezapft und Empfänger in meine Ohren implantiert. In meinem Kopf steckte ein Gerät, mit dem alles aufgezeich­net wurde und mit dem er mein Gehirn beeinflussen konnte. Er würde meine Sprache manipulieren, meine Bewegungen und sogar meine Mimik. Er konnte meine Muskeln kontrollieren.

Er kontrollierte mich. Total.

Ich war mehrfach operiert und mein Körper war vielfältig modifiziert worden. Mein Kitzler steckte in einer Hülle, so dass ihn niemand mehr berühren konnte. Stattdessen konnte man die Hülle zum Vibrieren bringen und mich damit dauerhaft geil halten, mich zum Orgasmus treiben oder die Vibrationen in Stromstöße verwandeln, um mich zu bestrafen und zum Gehorsam zu zwingen.

Meine Körperausscheidungen wurden von Implantaten kontrolliert. Ich konnte sie nicht mehr beeinflussen.

Mein Organismus vertrug nur noch eine spezielle Flüssignahrung, die mir zur Verfügung gestellt wurde.

Meine Kleidung (wenn ich mal welche tragen durfte) bestand aus Permaskin – das gleiche Material, das meine Haut ersetzt hatte. Gegen Textilien war ich allergisch.

Ich betrat mein neues Zuhause splitternackt.

Bild1

Ich betrat mein neues Zuhause splitternackt.

Irgendwie fand ich das ganz richtig so. Schließlich sind alle Neugeborenen nackt. Allerdings wird ihnen am Tage ihrer Geburt keine „eigene“ Wohnung zugewiesen.

Ich fand es recht hübsch hier. Dieses Apartment war im Verhältnis zu meinem Elternhaus und dem Haus, in dem ich mit meinem (noch-)Ehemann Steve gelebt hatte, recht bescheiden, aber mir kam es gemütlich vor.

Es wirkte auf eine seltsame Art „normal“ – lediglich die Bilder an den Wänden wiesen eher ungewöhnliche Motive auf. Es handelte sich ausschließlich um Gummipuppen. Sie waren entweder auf verschiedene Weise exponiert oder mit sexuellen Praktiken beschäftigt. Wenn mich diese Bilder daran erinnern sollten, was ich jetzt war, dann wäre das nach meinem Dafürhalten wirklich nicht nötig gewe­sen. Ich musste nur an mir heruntersehen. Meine vergrößerten Brüste mit den pink-leuchtenden Gumminip­peln, meine gleichfarbige Gummimöse mit der großen, goldenen Hülse, an deren Spitze eine Acrylhülle steckte, unter der sich meine verlängerte Klitoris befand, meine von sämtlichen Farbunregelmäßigkeiten freie, makellose, glänzende Gummihaut mit dem Logo meiner „Produzen­ten“ unterhalb meines Nabels und meine künstlichen, nun für immer „lackierten“ Nägel ließen mir nicht den gerings­ten Zweifel.

Auch die Wirkung der Aphrodisiaka, welche mir mit der Nahrung verabreicht wurden, ohne dass ich dagegen etwas hätte tun können, verstetigte sich zusehends. Ohne Zugriff auf meinen Kitzler glaubte ich nicht, mich von dieser allmählich permanenten Geilheit jemals befreien zu können. Ich beschloss, Penny danach zu fragen, die vom Meister ausgewählt worden war, mich bei meinen ersten Schritten als Gummipuppe zu unterstützen.

Ich sah mich um. So „normal“, wie ich auf den ersten Blick gedacht hatte, war hier doch nicht alles. In der klei­nen Pantry-Küche fehlte ein Herd. Logisch, dachte ich. Für mich hieße es ja nun für immer: „Kalte Küche“. An der Stelle des Herdes befand sich eine Art Container mit mei­nem Fütterungsdildo daran, denn ich konnte nur an meine Nahrung gelangen, wenn ich nach allen Regeln der Kunst einen Gummischwanz blies. Es war wohl vorgesehen, dass ich dies immer kniend machen musste. Ich empfand darüber keinen Ärger (mehr).

Bild2

Ich empfand darüber keinen Ärger (mehr).

Ich war stattdessen mit der Überlegung beschäftigt, ob ich diesen Dildo vielleicht von dem Container entfernen und „anderweitig“ benutzen könnte. Das Ding rührte sich jedoch keinen Millimeter.

Frustriert und reichlich feucht richtete ich mich auf und setzte die Erkundung des Apartments fort. Im Wohnzim­mer gab es bequem aussehende Sofas und eine kleine Sitzgruppe. Sämtliche Bezüge, Kissen und auch Teppiche waren aus Gummi – natürlich nicht irgendein Gummi, denn auch das vertrug meine neue Haut nicht mehr, son­dern Permaskin. Alle Vorhänge in der Wohnung waren geschlossen. Da ich mich im Erdgeschoss befand, war ich gespannt, ob es hier vielleicht auch einen Garten gab, aber das musste warten. Zunächst öffnete ich diverse Türen, um die anderen Zimmer in Augenschein zu nehmen.

Das Badezimmer enthielt eine einladende Wanne und eine kleine Duschkabine, in der sich auch eine Analdusche befand. Auf die war ich angewiesen, weil man mir den Schließmuskel operativ entfernt und durch einen Silikon­ring ersetzt hatte, der mein Poloch zur jederzeitigen, einfa­chen Benutzung dauerhaft weit offen hielt. Dies war wohl auch der Grund, warum ich keine Toilette vorfand. Stattdes­sen stand an ihrer Stelle eine Art Trichterschale. Das erschien mir sinnig, denn Festes würde dort ja nicht hinein müssen und wenn sich die Klappe öffnete (ohne dass ich es selbst beeinflussen konnte), die meinen End­darm vom Rest meines Verdauungstraktes trennte, schoss mein Darminhalt doch mit gewissem Druck aus mir heraus. Da war diese Schale allerdings weitaus praktischer als ein reguläres WC. Ich würde jedoch noch lernen müs­sen, wann mein neuer Metabolismus es erforderlich machte, dieses „Puppenklo“ aufzusuchen. Vor allem musste ich lernen, wann sich die zweite Klappe an meiner Blase öffnete. Ich hoffte, dass es dann für mich erträglicher würde, der Kontrolle über meine Ausscheidungen beraubt zu sein. Naja – vielleicht ein ganz klein wenig erträglicher.

Bild3

Naja – vielleicht ein ganz klein wenig erträglicher.

Die Hoffnung, irgendwann selbst eine Fernbedienung in die Hand zu bekommen, mit der ich eines Tages selbst die entsprechenden Knöpfchen drücken konnte, um mich zu entleeren, erschien mir fast so illusorisch wie die Chance, meinen Kitzler eines Tages selbst per Knopfdruck mit Vibrationen zu verwöhnen. Das war nun nicht mehr meine Sache.

Ich ging weiter und sah mir das Schlafzimmer an. Es war einfach, nüchtern und zweckmäßig eingerichtet.

Bild4

Es war einfach, nüchtern und zweckmäßig eingerichtet.

Keine Decke. Matratze, Kissen – alles aus Latex (Perma­skin). Angesichts der für mich noch unklaren Zeitabläufe meiner Zwangsentleerung (wenn ich voll war) erschien mir eine abwaschbare Gummi­matratze auch zwingend erforderlich.Wenn die Wirkung der Mittel, mit denen meine Libido gesteigert wurde, weiter permanent zu­nahm, gab es auch noch einen weiteren triftigen Grund für Abwaschbarkeit. Ich war ja nicht in der Lage, mich selbst zu „erleichtern“ (es war mir schleierhaft, wie ich das dauer­haft aushalten sollte) und würde vermutlich schon bald jede Nacht eine Pfütze im Bett hinterlassen.

Ich sah im Kleiderschrank nach. Da gab es tatsächlich schon ein paar Teile aus Permaskin für mich. Hm. Reizwäsche für Gummipuppen. Und ich hatte gedacht, Steve hätte mich schon mit eindeutigen Dingen ausgestattet! Gegen die Gummiteile, die ich nun in den Händen hielt, waren das aber eher prüde Klamotten gewesen. Mir fiel ein, dass ich im Flur an einem Wand­schrank vorbeigekom­men war. Ich verließ mein neues Schlafzimmer, um dort nachzusehen. Allerdings hatte ich den Verdacht, dass ich auch dort nichts „Alltagstaugli­ches“ finden würde, denn ich war ja nicht irgendeine Gummi­puppe, sondern gehörte einer neuen Generation von Liebespuppen an. Mein Verwen­dungszweck war eindeu­tig. Warum sollte meine Kleidung nicht ebenso eindeutig sein? Warum wollte ich überhaupt etwas anziehen? Vermut­lich würde ich mein künftiges Leben doch ohnehin weitge­hend nackt verbrin­gen. Sollte ich mich nicht besser gleich daran gewöhnen? War es die alte Anna, die mich suchen ließ? In dem Wand­schrank hingen tatsächlich Gummisachen, die nicht ausschließlich als Reizwäsche fungierten. Auch Schuhe gab es. Natürlich waren es aus­nahmslos High-Heels. Ich betrach­tete ein schlichtes Gum­mishirt und die Worte des Meisters kamen mir in den Sinn. Natürlich! Ich sollte im Rahmen meiner Möglichkei­ten ein „normales Leben“ füh­ren können. Der Grund, wa­rum ich meiner Persönlichkeit nicht beraubt worden war, lag in der Einsam­keit der Toch­ter des Meisters, die mich nach nur einer Begegnung mindes­tens so sehr ins Herz geschlossen hatte wie ich sie. Ich sollte (und wollte) ihr eine Freundin sein und Isabelle war „normal“. Es war nicht im Sinne des Meisters, wenn ich ständig nackt oder in aufreizender Gummiwäsche vor seiner einzigen Tochter herumlief. Ich zog das Shirt an. Natürlich war es eine Maßan­fertigung. Für Treffen mit Isabelle erschien es aller­dings kaum geeignet. Es verbarg nicht viel.

Bild5

Es verbarg nicht viel.

Was ich in diesem Schrank überhaupt nicht vorgefunden hatte, waren Kleidungsstücke für „Untenrum“. Möglicher­weise war man bei Puppet Factory mit der Herstellung ja noch nicht soweit. Schließlich hatte ich keine gängigen Konfektionsgrößen mehr. Meine Brustimplantate waren zwar deutlich kleiner ausgefallen, als ich ursprünglich befürchtet hatte, aber ein handelsüblicher BH würde mir angesichts der Tatsache, dass meine neuen Brüste nicht mehr zu meinem eher zierlichen Brustkorb passten, nicht entsprechen (von der Materialfrage einmal abgesehen). Silikon in den Brüsten war hier normal. Ich war in der Klinik jedoch erst einmal einer Frau begegnet, die auch Implantate im Po hatte. Meine waren zwar schön rund, aber auch recht groß ausgefallen und der übliche Index im Verhältnis zu Ober­schenkeln, Hüftumfang und Taille galt für mich nicht mehr. Andererseits hätte ich mich auch nicht getraut, ein Gummi­höschen zu tragen, denn ich hätte es bei nächster Gelegenheit einfach vollgemacht. Also blieb ich unten ohne und hoffte, nicht schon bald die Sitzbe­züge reinigen zu müssen, denn ich hatte Hunger und kniete mich jetzt erst einmal vor meinen Dildo. Ich lutschte und saugte, wie es mir gezeigt worden war und diesmal spritzte die wohlschme­ckende Flüssigkeit (nebst Drogen zur weiteren Steigerung meiner Geilheit) rasch in meinen Gummimund.Danach holte ich mir eine Flasche Wasser aus dem gefüllten Kühlschrank und trank einen nur kleinen Schluck, denn ich wusste ja, dass Klappe und perma­nenter Katheter in meinen Harnwegen mich ohne die geringste eigene Einflussmöglichkeit einfach pissen lassen würden, wenn meine Blase gefüllt war.

Es war mein erster Tag als Gummipuppe gewesen und ich war fix und fertig. Ich hätte gern noch nachgesehen, wie es draußen aussah, aber es wurde ohnehin schon dun­kel und so ging ich zunächst ans Telefon, um festzustellen, dass ich damit in einer Telefonzentrale landete – gleich, welche Nummer ich wählen wollte. Vermutlich war nur Pennys gespeicherter Anschluss für mich erreichbar. Ich machte es mir auf dem Sofa bequem und stellte dabei fest, dass sogar eine kleine Narbe, die ich mir als Kind am lin­ken großen Zeh zugezogen hatte, verschwunden war. Ich war glatter als jeder Luftballon.

Bild6

Ich war glatter als jeder Luftballon.

Ich schaltete den Fernseher ein; in der sicheren Erwartung, dort ein „Spezialprogramm“ vorzufinden - womöglich Gummipuppenpornos analog zu den Bildern an den Wänden. Stattdessen lief eine von den grässlichen Talk­shows für geistig Minderbemittelte und ein anabolika-geschädigter Muskelprotz im Netzhemdchen (bäh!) brei­tete gerade seine Empörung öffentlich darüber aus, dass seine offenen Mundes kaugummischmatzende Freundin ihm die geliebte, tiefergelegte und verspoilerte Pröll-Karre, bei der das Geld zwar nicht für einen ordentlichen, ungetunten Motor, aber doch immerhin für hodenersetzende Subwoofer reichte, geschrottet hatte.

Pffft! Dann schon lieber eine total kontrollierte Gummi­puppe als ein unkontrollierter Vollidiot sein!

Das war nicht Annas Welt gewesen. Die Welt der neuen Anna war es noch viel weniger. Ich verzichtete auf die Nachrichten. Ich hatte selbst genug erlebt. Ich zog mein halbtransparentes Gummihemd wieder aus, ging unter die Silikondusche und wusch meinen Mund mit einer bereitste­henden Spülung. Zähne hatte ich ja keine mehr und das, was wie meine früheren Zähne aussah (nur weißer), war auch nichts als Gummi. Da nützte eine Zahnbürste wenig. Dann ging ich ins Schlafzimmer, legte mich unter vernehmlichem Quietschen auf die Matratze und schlief vor lauter Erschöpfung sofort ein.

Alles in allem war mein erster Tag als Gummipuppe viel einfacher gewesen, als ich erwartet hatte. Ich würde zwar am nächsten Morgen bei meinem Anblick im Spiegel wie­der erschrecken, aber ich war jetzt bereit für mein neues Puppenleben.



2: Abhängig von der Uhr

Am nächsten Morgen wurde ich durch leichte Krämpfe in meinem Bauch geweckt. Schnell stand ich auf, eilte ins Bad, stellte mich über die Toilettenschale und wartete. Die Nahrungsmengen waren dosiert. Ich konnte nicht mit dem „Essen“ aufhören, bevor ich die vorgeschriebene Menge aufgenommen hatte, weil ich sonst einen Stromstoß vom Fütterungsgerät verpasst bekam. So musste ich auch nicht lange warten, bis sich meine Darmklappe öffnete. Der Trichter war perfekt geformt.

Bild7

Der Trichter war perfekt geformt.

Während es aus mir herauslief, ohne dass ich es auch nur im Geringsten beeinflussen konnte, dachte ich an die Kameras, von denen der Meister mir erzählt hatte. Ich hatte noch nicht eine einzige Kamera gesehen, aber ich ging davon aus, dass sie da waren. Also wurde das, was ich gerade tat (tun musste) aufgezeichnet. Ich versuchte nicht, nach unten zu sehen, denn dann hätte ich noch ein weiteres Bild mit meinen eigenen, künstlichen Augen dazu geliefert. So war es schon schwierig genug für mich. Alles, was ich jemals tun würde, wurde beobachtet. Es gab nichts Privates, nichts Intimes mehr. Nur noch meine Gedanken. Wenigstens die hatte man mir gelassen.

Ich versuchte, mich abzulenken. Ich brauchte eine Uhr. Damit würde ich die genaue Zeit nehmen können, die mein veränderter Metabolismus zur Verdauung der Flüssig­nahrung benötigte. Zum Glück konnte ich spüren, wenn es soweit war. Dann blieben mir noch gefühlte zwei Minuten, aber das musste ich genau wissen. Dann würde ich vermeiden können, einfach unkontrolliert auf den Fußbo­den (oder wo immer ich gerade war) zu kacken. Immerhin! Die andere Sache war da schon schwieriger, denn es gab keine festgelegten Getränkemengen. Bis jetzt hatte sich meine Blase nicht entleert und ich befürchtete, dass der Katheter, den ich für immer in meiner Harnröhre trug, mit einem Ballon in meiner Blase verankert war. Ich würde nicht spüren können, wenn sie voll war. Mir blieb nur, mit unterschiedlichen Flüssigkeitsmengen solange herum zu experimentieren, bis ich ein Gefühl für meine neuen Funktionen bekam. Warum hatte man mir das ange­tan? Wollte man mich zwingen, einfachste Dinge neu lernen zu müssen, damit ich mir bewusst wurde, dass ich ein vollkommen neues Wesen war? Vermutlich ging es nicht darum, sondern vielmehr um Kontrolle und darum, dass ich jederzeit spürte, unter totaler Kontrolle zu stehen.

Nach Dusche und Analreinigung zog ich das Hemdchen vom Vortag wieder an und eilte zum Telefon. Ich rief Penny an, bat um ihren Besuch und um eine Uhr. Dann setzte ich mich auf den Fußboden und heulte.

Bild8

Dann setzte ich mich auf den Fußboden und heulte.

Ich weinte nicht wegen der Ausweglosigkeit und Endgültigkeit meiner Lage. Die Phase der Verzweiflung hatte ich hinter mir. Ich weinte auch nicht wegen meiner Hilflosigkeit. Ich hatte mich damit abgefunden. Ich weinte, weil ich ein Ventil für meine Anspannung brauchte. Auf der einen Seite hatte ich es leicht: Ich musste nur tun, was von mir verlangt wurde. Ich konnte ja gar nicht mehr an­ders. Auf der anderen Seite war eingetreten, was ich stets zu vermeiden bemüht gewesen war: Ich musste mir mein neues Leben allein erschließen, mich selbst „kümmern“. Ich fühlte mich einsam und die Herausforderung, von nun an als Gummipuppe zu leben, erschien mir auf einmal wie ein riesiger Berg, über den ich nicht blicken konnte. Ich sehnte mich nach einer vertrauten Person, der ich – wie die alte Anna es stets getan hatte – die Entscheidungen überlassen konnte. Ich sehnte mich danach, dass Penny endlich auftauchen würde, um mir zu sagen, was ich ma­chen sollte, aber ich würde nicht offen mit ihr reden kön­nen. Ich konnte nicht einmal mit ihr über meine geschei­terte Flucht, bei der sie mir ja hatte helfen wollen, reden. Ich würde sie damit in Gefahr bringen, denn ich konnte nie wieder unbeobachtet etwas sagen oder tun. Sogar meine eigenen Augen, die für den Meister wie Kameras funktionierten, würden mich und alle, die ich sah, verra­ten.

Ich weinte, weil ich wusste, dass ich dem Meister ge­hörte und gehorchen musste, den ich nach wie vor für das schlimmste Monster auf Erden hielt. Ich war seine Sklavin und ich würde es immer sein. Für alles andere würde ich selbst sorgen müssen und das machte mir Angst. Ich hatte noch nie für mich selbst sorgen müssen. Ich hatte mich davor gedrückt, mein Leben in die eige­nen Hände zu nehmen und jetzt musste ich ein Leben in meine Hände nehmen, das niemals „meins“ sein würde. Ich hatte verhindert, dass Anna erwachsen wurde und musste nun eine Gummipuppe erwachsen werden lassen, die mir gar nicht gehörte. Ich musste es und inzwischen wollte ich es auch, aber ich hatte eine Scheiß-Angst, dabei zu versagen!

Als Penny endlich kam, hatte ich vorher im Spiegel er­kannt, dass mein Permaskin verhinderte, dass ich „ver­heult“ aussehen konnte. Immerhin!

„Hi, Anna“, meinte Penny, während sie eine Handtasche ablegte und ihre High-Heels von den Füßen streifte.

„Hi, Penny. Hast Du an die Uhr gedacht?“

Bild9

„Hast Du an die Uhr gedacht?“

„Klar. Ich habe auch noch ein paar andere Sachen für Dich. Warst Du schon im Garten?“

„Nein. Ich hatte noch keine Gelegenheit.“

„So beschäftigt?“

„Gestern war ich vollkommen alle. Vorhin musste ich erst einmal machen, was eine Puppe so macht, wenn sie voll ist. Hast Du auch …?“

„Nein. Die Sache mit den Klappen wird nur bei den Gum­mipuppen des Meisters und auf besonderen Wunsch der jeweiligen Besitzer gemacht.“

„Wie viele hat der denn?“

„Ein paar. Hey, es ist sehr schön draußen. Lass uns in den Garten gehen!“

„Okay.“

Penny nahm ihre Tasche auf und ließ die Schuhe im Flur. Auf dem Weg durch die Wohnung legte sie ihre Perücke ab. Ich öffnete die Vorhänge an der Terrassentür des Schlafzimmers und sah einen von hohen Hecken ge­säumten Rasen.

Wir gingen hinaus und ließen uns auf dem kurzen, wei­chen Gras nieder. „Ich habe ganz vergessen, Dich zu fra­gen, ob Du etwas trinken willst.“

„Vielleicht später, Anna. Wie war die erste Nacht in Dei­nem neuen Heim?“

„Keine Ahnung. Ich habe sie verschlafen. Wie ein Stein.“

Penny lächelte. „Kein Wunder bei dem, was Du hinter Dir hattest.“

„Das ist seltsam, Penny. Das alles ist erst gestern passiert und ich habe das Gefühl, als würde ich schon ganz lange aus Gummi bestehen.“

„Das liegt an der Vielzahl der Eindrücke. Du kannst Dir gar nicht vorstellen, dass Du die in so kurzer Zeit erlebt hast und denkst, es müsste schon ewig lange her sein. Das Permaskin empfindest Du natürlich nicht als Fremdkör­per, weil Du es ja nicht auf, sondern statt Deiner alten Haut trägst. Das wird sich ab und zu mal ändern, wenn Du zum Beispiel versuchst, eine Münze von einer glatten Fläche aufzuheben. Ich wäre die ersten Male dabei fast verrückt geworden.“

Bild10

„Ich wäre die ersten Male dabei fast verrückt geworden.“

„Was hast Du dann gemacht?“

„Die Münze von der Platte gewischt und mit der ande­ren Hand aufgefangen. Die andere Variante wäre gewe­sen, sie mit meinen Fingernägeln zu greifen.“

„Ich glaube, ich muss erst noch lernen, mit meinen Nä­geln überhaupt richtig zu greifen.“ Seltsam – ich war da­von überzeugt, dass ich eigentlich „Krallen“ hätte sagen wollen. „Haben wir eigentlich Fingerabdrücke?“

„Nein. Wie denn – ohne Rillen? Unsere Haut ist vollkommen glatt.“

„Dann sollten wir vielleicht mal eine Bank überfallen?“

Bild11

„Dann sollten wir vielleicht mal eine Bank überfallen?“

„Hahaha! Das gäbe ja tolle Schlagzeilen!“

„Klar. ›Angriff der Räuberpuppen‹ oder so.“

„Bevor Du noch auf dumme Gedanken kommst, gebe ich Dir jetzt erst einmal die Uhr.“

„Das ist gut. Die brauche ich wirklich sehr. Hey! Die ist hübsch.“ Ich legte die Armbanduhr an.

Bild12

Ich legte die Armbanduhr an.

„Du kannst sie behalten.“

„Das ist echt lieb von Dir.“

„Nicht von mir. Der Meister wollte, dass ich sie Dir gebe.“

„Na dann ist das eben lieb vom Meister.“ Verdammt! Es sollte ironisch klingen, aber das tat es nicht. So genau konnte dieses Scheiß-Programm doch nicht sein! Nicht nach so kurzer Zeit! Und … falls doch? Ich beschloss, mir darüber nicht den Kopf zu zerbrechen. Ich freute mich über die Uhr, mit der ich es hoffentlich schaffen würde, meine modifizierte Blase in den Griff zu bekommen. Diese Armbanduhr war im Moment mein wichtigstes Utensil.

„Sag mal, Penny … es gibt in keinem der Schränke eine Hose oder einen Rock. Hast Du eine Ahnung, warum?“

„Die sind vermutlich noch nicht fertig, weil Deine Spezifi­kationen kurzfristig geändert wurden. Der Meister hat gesagt, dass es da wohl ein ziemliches Hin und Her gegeben hat. Allerdings …“

„Allerdings was?“

„Du bist eine Liebespuppe. Niemand wird es ungewöhn­lich finden, wenn Du nackt herumläufst. Du kannst Dich innerhalb dieses Areals hier frei bewegen. Es umfasst neben den Apartmenthäusern auch ein schönes Stück Natur. Es gibt ein Wäldchen und einen kleinen See. Im Keller steht sogar ein Fahrrad für Dich bereit. Du kannst damit jederzeit herumradeln.“

„Nackt?“

„Natürlich. Oder mit dem, was Dir an Kleidung zur Verfü­gung gestellt wird. Du wirst sehen, dass Du hier überwiegend anderen Puppen begegnest. Viele davon werden nackt sein.“

„Aber bin ich nicht eine der ersten Liebespup­pen?“

Penny lächelte. „Du bist zwar eine der ersten dieses neuen Typs, aber es gibt auch andere Puppen. Ich weiß, dass sogar unter den Liebespuppen unterschiedliche Varian­ten geplant sind.“

„Und welche Varianten sollen das sein?“

„Das hängt von den Anforderungen der Kunden ab.“

Ich dachte an Steves Versuch, sich an mir zu rächen. Ich zog es daher vor, nicht weiter nachzufragen. Ich freute mich stattdessen auf das Fahrrad. Ob ich mich wirklich nackt auf den Weg machen würde, war allerdings eine andere Frage. „Ich darf das Areal nicht verlassen?“ Wie sollte ich mich dann um Isabelle kümmern?

„Doch, aber als Puppe brauchst Du eine Genehmigung. In Deinem Fall vom Meister persönlich.“

Bild13

„In Deinem Fall vom Meister persönlich.“

„Und wie bekomme ich die? Ich meine … kann ich ihn einfach anrufen und fragen? Doch wohl kaum.“

„In der ersten Zeit rufst Du mich an. Ich leite Deine Bitte dann weiter. Ich gebe Dir jetzt noch ein paar Dinge, die Dir nützlich sein könnten und dann wüsste ich gern, ob Du noch weitere Fragen hast.“

„Jede Menge, Penny. Mein Problem ist nur, dass ich so viel wissen muss, dass ich gar nicht weiß, wo ich mit der Fragerei anfangen soll.“

„Dann habe ich einen Vorschlag: Unter den Sachen für Dich ist auch Schreibzeug. Wann immer Dir eine Frage einfällt, schreibst Du sie einfach auf. Wenn ich zu Dir komme, arbeiten wir die Liste dann ab.“

„Gute Idee.“ Und der Meister würde dann mitle­sen können, dachte ich. Na, egal. Er konnte ja auch mithö­ren, also machte das keinen großen Unterschied.

Penny verabschiedete sich, nachdem sie mir diversen Kram aus ihrer Tasche übergeben hatte. Sie wusste, dass ich den Rest des Tages mit meinem „Zeitmanagement“ beschäftigt sein würde.

So kam es auch. Nachdem ich viermal den Fußboden wi­schen musste und mir schlecht von dem vielen Wasser war, das ich getrunken hatte, glaubte ich, den „Durch­fluss“ halbwegs verstanden zu haben. Ich würde meinen ganzen Tagesablauf von nun an danach richten müssen. Am späten Nachmittag setzte ich mich vor die Glotze und ließ mich von den News über eine Welt informieren, die nicht mehr meine war. Dabei spielte ich unbewusst an meinen verlängerten Scham­lippen herum. Es fiel mir erst auf, als meine Geilheit stärker wurde und ich mich nicht mehr auf das TV-Programm konzentrieren konnte. Diese Sache wurde allmählich quälend. Ich verfluchte die Hülse, in der mein Kitzler unerreichbar und unbeweglich in einem Zu­stand permanenter Erektion gefangen war. Ich fluchte innerlich, denn als ich vor lauter Frust laut „Fuck“ sagen wollte, zuckte nicht einmal mein Mundwinkel. Das Programm hatte, wie von Lemieux angekündigt, meinen Wort­schatz korrigiert. Was würde es noch korrigie­ren?

Frustriert ging ich zu Bett und konnte vor Geilheit lange nicht einschlafen. Dabei wäre es ange­sichts dessen, was mich erwartete, so nötig gewesen. Sogar sehr nötig!

Bild14

Sogar sehr nötig!

weniger Text
 
Die Puppe des Meisters